Wir waren dann mal weg…

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Tag 07 - 13.06.2014: La Faba - O Cebreiro - Triacastela

13. Juni 2014
7. Tag – 6. Etappe
La Faba > Triacastela – 28km (800hm)



Freitag der 13te! Und das Datum hat seinem Namen irgendwie alle Ehre gemacht! Aber wie immer: Von vorn….

Meine innere Pilgeruhr hat mich heute vor sechs geweckt. Da die Tür vom Bettenhaus noch verschlossen war, habe ich mich nützlich gemacht und Kaffee für die anderen Pilger gekocht. Um Punkt sechs kam dann Wolfgang und hat die Tür aufgeschlossen. Er freute sich das der Kaffe schon fertig war. Er erzählte mir, dass es zwischen ihm und Peter so gut funktioniert, da die Beiden eine strikte Arbeitsteilung haben. So hat jeder immer was zu tun. Und seine Aufgabe ist es unter anderem, dass Frühstück für die Pilger zu machen.
Mit einem Kaffee in der Hand, ging ich nach draußen in den Hof.

Durch die Bäume konnte ich den Vollmond über den Berggipfeln sehen. Ich setze mich auf die Mauer, trank meinen Kaffee, rauchte in Ruhe eine Zigarette und genoss nochmal die einmalige Atmosphäre dieser Herberge. Ich wollte hier irgendwie nicht weg. Aber es ging nicht anders. Aber ich wusste schon jetzt, dass irgendwann wieder kommen werde. Das steht fest.

Tilo war fertig und so verabschiedeten wir uns von Wolfgang und Peter, machten nochmal ein Bild an der Pilgerstatue und zogen gemeinsam mit Daniel in Richtung O Cebreiro. Der O Cebreiro wird bei vielen Pilgern wegen des schweren Aufstieges, auch „O Crepiero“ genannt. Ich war gespannt was mich erwartet. Gestern war ja schon anstrengend, aber heute sollte es eben nochmal richtig hoch gehen.

Nach dem wir den Ort verlassen hatten, schlängelte sich der Weg langsam aber stetig nach oben. Rechts und links war der weg von großen Büschen gesäumt. Langsam graute der Morgen und die Sonne kam über die Berggipfel. So stapften wir zu dritt nach oben. Es war anstrengend, aber bei weitem nicht so schlimm wie befürchtet. Wieder war der Weg von losen Steinen überseht, was bei Regen mit Sicherheit erschwerend ist. Irgendwann hatten wir ihn dann erreicht. Wie aus dem nichts stand mit einem mal der Grenzstein am Wegesrand. Auf Wiedersehen Kastilien und Willkommen Galizien. Kurz vor neun Uhr erreichten wir gemeinsam mit Daniel den O Cebreiro. Da Daniel den Ort schon kannte, wir aber noch ein wenig  bleiben wollten, verabschiedeten wir uns einer kurzen Pause von einander. Ich hoffe, dass wir uns irgendwann wiedersehen werden. Es hat unwahrscheinlich Spaß gemacht ihm zuzuhören, wenn er von seiner schon mehr als 80 Tage langen Reise erzählt.

O Cebreiro, ein Dorf das aussieht, als wenn man es gerade aus einem Asterix-Film kopiert hat. Kleine Runde Häuser, Reetgedeckt und zur Hälfte unter die Erde gebaut. Dazu kommt eine kleine Kirche, ein paar herbergen und die dann wieder neuzeitlichen Bars und Souveniershops. Um neun sollte die Kirche öffnen. Dort wollte ich unbedingt rein, denn in Ihr befindet sich der heilige Gral von Galizien, der den Ort berühmt gemacht hat. Es soll sich im 13 Jahrhundert zugetragen haben, dass ein frommer Bauer an Weihnachten, bei Sturm den Berg hinauf kam, um in der Kirche an der Messe teilzunehmen. Ein junger, etwas ungläubiger, Mönch sollte diese heilige Messe abhalten, hatte aber wenig Lust, für einen einzelnen Bauern dies zu tun. Nachdem der Bauer dem jungen Mönch recht deutlich beibrachte, dass er ein Recht auf diese Messe hat, hielt dieser die Messe dann doch ab. Während der Eucharistie geschah dann das Hostienwunder, in dem sich Brot und Wein in Fleisch und Blut wandelte. 
Diese Hostienwunder ist ein von der Kirche offiziell anerkanntes Wunder. Man kann die den Schrein, in dem sich die Reliquien und der Kelch befinden, in der Kirche bewundern. Direkt neben dem Schrein befinden sich die zwei Grabnischen des Mönches und des Bauern, wobei aber traditionell nur die des Bauern geschmückt ist und die des ungläubigen Mönchs nicht.

Wir verbrachten die Zeit bis zur Öffnung der Kirche bei Cafe con Leche, einem Stück Kuchen, Tagebuch schreiben und Geocaching.


Als wir die Kirche betraten war er wieder da, der „Spirit of Camino“. Hinter dem Altar befinden sich drei kleine Fenster, durch die die Sonne in die Kirche schien. Es wirkte wie drei Strahlen, die uns den Weg zeigen wollten. Wir schauten uns alles in Ruhe an und setzten uns, nachdem wir jeder eine Kerze entzündet hatten, auf eine der Kirchenbänke. Es war ein einmaliger Anblick, wie die Sonne in das Kircheninnere drang. Bevor wir die Kirche verließen, schaute ich mir den Schrein nochmals in Ruhe an. Ruhe, das ist die beste Beschreibung für diesen Augenblick. 

Irgendwie war ich aber heute nicht ruhig. Irgendetwas war anders. Bis dato war der Tag wunderschön, was sich aber irgendwie dann änderte. Ich kam heute irgendwie nicht in Wallung. Ich hatte einfach keine Lust zu laufen und war mit mir nicht zufrieden. Und irgendwann kam sogar ein Hauch von Heimweh auf. Meine Mädels fehlten mir.
Wieder draußen, schulterten wir unsere Rucksäcke und machten uns auf zum Alto de Poio, einem Gebirgspass auf 1300 Metern Höhe, der nochmal ein wenig höher als der O Cebreiro liegt. Der Aufstieg zum Alto de Poio forderte mich nochmal richtig. Die letzten hundert Meter ging es nochmals richtig steil bergauf. Oben angekommen und nach Luft schnappend, stand man direkt an der Terrasse eines Cafés. Die Gäste auf der Terrasse beklatschten jeden, der den steilen Weg hinauf kam. Das war auf den letzten Metern wirklich sehr motivierend.


Oben auf dem Alto de Poio steht eine große Statue, die einen Pilger darstellt, der gegen Wind und Wetter ankämpft. So war es heute bei mir auch. Nur das ich nicht gegen Wind und Wetter ankämpfte, denn es war herrlicher Sonnenschein, sondern gegen mich selbst. Ich hatte einfach keine Lust. Wir wollten heute ja mal ohne Plan laufen und einfach gucken wie weit wir kommen. Im Nachhinein sehe ich das als Ursache. Ich war ziellos! Bloß kann ich denn so verbohrt und Zwangsstrukturiert sein, dass ich immer ein Ziel oder einen Plan brauche. Ist das eines der „Warum“? Aber wenn man etwas braucht, eine Regelmäßigkeit, einen Plan, eine Struktur oder was auch immer, kann man sich selbst nicht zwingen das abzulegen, wenn man es einfach für sich braucht. Ich glaube nicht, dass ich der einzige Mensch bin, der Strukturen benötigt. Ich merke, dass es mir nicht bekommt, zu versuchen mich selbst zu verändern, wenn nicht es selbst nicht will, da ich denke zu wissen, dass es gut ist, wie es ist! Mein ganzes Leben verlief bisher nach einem von mir selbst erstellten Plan. Und der hat bisher gut funktioniert. Also: „Never change a running system!“. Ändere nicht das, was funktioniert. Und somit beschließe ich direkt auf dem Alto de Poio meinen Plan: Ziel Triacastela! Heute war übrigens Halbzeit, denn am Alto de Poio hatten wir die Hälfte der Strecke hinter uns. 

Unterwegs hatte ich dann auch wieder ein sehr schönes „Spirit of Camino“-Erlebnis. Als wir durch ein kleines, augenscheinlich fast unbewohntes und verfallenes Dorf kamen, ging dir Tür eines alten Hauses auf. Heraus kam eine alte Frau mit einem Teller voller frischer Pfannkuchen. Sie hatte diese nicht für sich, sondern für die Pilger gemacht. Und so verteilte sie diese gegen eine kleine Spende, an die vorbeiziehenden Pilger. Diese Einladung kam genau zur richtigen Zeit und so nahm auch ich dankend einen Pfannkuchen entgegen und ließ ihn mir schmecken.
Ab jetzt ging es nur noch Bergab. Ich will jetzt nur noch ankommen, denn das Knie schmerzt vom Abstieg nach dem Alto de Poio sehr. Und so kamen wir nach unendlichen 28 km endlich in Triacastela an. Durch den langen Aufenthalt auf dem O Cebreiro haben wir Zeit verloren und kommen recht spät an. Es wie es kommen musste, die ersten Herbergen waren „Completo“.  Wir suchten eine gefühlte Ewigkeit und landeten letztendlich in einer privaten Herberge am Ortsausgang. Warum auch immer, aber auch hier war ich irgendwie nicht glücklich. Als ich mein Bett zugeordnet bekam sprang irgendein kleines Tier auf meine Tasche und sofort wieder runter. Ich konnte nicht genau erkenne, ob es eine Fliege oder vielleicht eine Bettwanze war. Das hatte mir jetzt gerade noch gefehlt. 
Nachdem ich das tägliche Wasch-Dusch-Prozedere hinter mich gebracht hatte, setzte ich mich vor die Tür und Schrieb ein paar Nachrichten mit der Familie. Dani merkte sofort das ich nicht gut drauf war. Nachdem wir ein paar Zeilen geschrieben hatten (ich musste mich beeilen, denn wir mussten uns noch um das Abendessen kümmern) ging es mir von „Null auf Nix“ besser. Ursache Zwei hatte ich somit auch gefunden: Meine Mädels fehlen mir! Ich versuche jetzt den Rest des Tages einfach zu genießen und diese Etappe einfach abzuhaken. Das war bis dato nicht mein Tag und ich will das jetzt hinter mir lassen.

Und so tingeln wir ein wenig durch die Stadt, vorbei an einigen Restaurants. Eines davon hat einen schönen Garten. An der Wand hängt ein großer Fernseher und da ja heute das WM-Spiel Spanien gegen Niederlande ist, beschließen wir dort heute zu Essen und nebenbei das Spiel zuschauen. Bis dahin haben wir aber noch ein bisschen Zeit und so setzen wir unseren Stadtrundgang fort, bis wir an die Kirche kommen, die wir uns natürlich auch wieder ansehen. Während Tilo mit ein paar Pilgern ins Gespräch kommt, entdecke ich an einem Haus ein schattige Bank. Gerade als ich dort hingehen will, kommt Regina um die Ecke. Die Freude war groß. Regina war gerade auf dem Weg in die Kirche zum Pilgergottesdienst. Dieser soll mehrsprachig sein und durch einen sehr Unterhaltsammen Pfarrer gehalten werden. Kurzentschlossen gehen wir zu Dritt. Als ich die Kirche betrete, und mich in eine der hinteren Reihen setzen will, fordert mich der Pfarrer wild gestikulieren und sehr bestimmt auf, gefälligst nach vorne zu kommen. Während er immer noch mit den Armen in meine Richtung fuchtelt, gehe ich langsam nach vorne. Ich setze mich in die vierte Reihe. Das war ihm aber noch nicht genug. Er fragte „Allemagne?“, was ich freundlich mit „Si!“ beantwortet. Er hob die Augenbrauen, schüttelte mit dem Kopf und fuchtelte wieder mit den Armen. Ich sollte noch weiter nach vorne kommen. Es war eine unwahrscheinlich witzige Situation. 
Ich lachte und setzte mich dann in die zweite Reihe, was er mit einem Nicken dann akzeptierte. Die nächsten Pilger betraten die Kirche, setzten sich in die hinteren Reihen und so ging das Spiel sofort wieder von vorne los. Irgendwann hatte der Pfarrer dann all seine Schäfchen dort wo er sie haben wollte, und zwar in den ersten Reihen. Dann betrat eine einzelne Frau die Kirche. Auch sie wurde aufgefordert nach vorne zu komme. Jedoch wollte sie nicht und so begann ein Dialog zwischen den Beiden. Und obwohl meine Spanisch-Kenntnisse lediglich aus dem erlernten der letzten Woche bestanden, hab ich es verstanden. Der Pfarrer erfragte wo sie herkommen. Die Frau war Spanierin. „Touristica o Peregrino?“ „Touristica!“ antwortete die Frau. Und das war eine Antwort, die Pfarrer in seinem Pilgergottesdienst nicht wirklich hören wollte. Ab dann habe ich nichts mehr verstanden. Die Frau totterte mit dem Pfarrer und er mit ihr. Deutlich wurde aber, dass er Ihr sagte, dass dieses ein Gottesdienst nur für Pilger und nicht für Touristen ist, was wiederum der Frau nicht gefiel. Es endete, glaube ich, in einem Unentschieden. Letztendlich saß die Frau in einer der hinteren Reihen und der Pfarrer begann den Gottesdienst. Er sprach einzelne Pilger an und erfragt wo sie herkamen. Je nach Nation forderte er diese auf nach vorne zu kommen und im Bereich des Altar Platz zu nehmen. Sie erhielten dann einzelne Zettel, auf denen eine Fürbitte in Ihrer Sprache stand. Diese wurde dann zum Abschluss des Gottesdienstes von den einzelnen vorgetragen. Regina war auch dabei. Nach dem Gottesdienst trugen wir uns noch in ein Buch auf dem Altar ein und verließen dann die Kirche. Da Regina noch nicht wusste was es heute bei Ihr zum Abendessen schloss sie sich uns an und so gingen wir gemeinsam zurück zu dem von uns ausgesuchten Restaurant. 



Das Essen war heute sehr gut. Wir haben wieder viel geplauscht und so verging auch heute wieder die Zeit wie im Flug. Irgendwann begann dann ja auch das Fußballspiel. Direkt vor dem großen Fernseher saß eine Gruppe Spanier. Sie hatten ja „Heimvorteil“ und bejubelten lautstark Ihre Mannschaft, nachdem diese mit 1:0 in Führung gingen. Kurz danach, betrat ein Holländer im orangen Shirt, das Restaurant. Noch wurde er belächelt. Als dann aber das 1:1 viel und alle weiteren Tore der Holländer, wechselte das Bild und die Gesichter der Spanier wurden immer länger. Auch die Anzahl der Spanier wurden immer weniger und die Holländer wurden immer mehr. Beim Endstand von 1:5 war dann der halbe Garten des Restaurants fest in holländischer, oranger Hand.
Punkt Zehn waren wir dann in der Herberge und dieser Tag ging endlich seinem Ende zu. Auf dem Weg dorthin fragte ich Tilo, wie er den Tag fand. „Super! Toll! Herrlich!“, war die Antwort. Ja, so verschieden kann es ein. Was war das bloß heute? Himmel hoch her jauchzend, zu Tode betrübt. Hatte der Weg sein Pulver schon verschossen. Hatte ich schon alles gesehen, worauf ich mich gefreut hatte? Ich wollte zum Cruz de Ferro, den Aufstieg zum O Cebreiro schaffen und  Menschen aus aller Welt  kennen lernen. Und hauptsächlich wollte ich wissen „Warum?“. War das „Warum?“ schon dadurch beatwortet, dass der Weg mir sagt, dass es gut ist wie es ist. Dass ich eine tolle Familie habe und ein strukturiertes gutes Leben führe. Habe ich vielleicht nur eine Bestätigung gesucht, dass ich bisher alles richtig gemacht habe? War das schon die Antwort?


Fazit des Tages: I did it my way. Ich gehe meinen Weg. Keine Experimente! Ich brauche ein Ziel und fertig! Einfach drauf los funktioniert nicht. Basta!

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