Wir waren dann mal weg…

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Tag 09 - 15.06.2014: Sarria - Portomarin

15. Juni 2014
9. Tag – 8. Etappe
Sarria > Portomarin – 24,3km


Es ist 4:21 Uhr. Der Engländer rennt im Zimmer rum. Da haben wir das kleinste Zimmer seit dem Beginn unserer Pilgerreise und nun hat unser Bettnachbar ein Schlafproblem. Ich glaube es hackt. Es 5:15 Uhr als ich gegenüber der lautstarken britischen Übermacht kapituliere und aufstehe. Da war nix mit guter englischer Erziehung, denn kurz nach dem ich das erste Mal aufwachte, stand dann auch seine Frau auf und begann mit ihm einen entspannten Smalltalk. Vor mich hin fluchend ging ich ins Bad. Da bemerkte ich, dass unbewusst auf Englisch schimpfte. Ich glaube er hat mich verstanden, aber da muss er jetzt durch, denn so wurde ich nicht mal in Ponferrada geweckt.

Da wir ja in den letzten Tagen eigentlich ständig multilingiual leben, fällt einem das auch nicht so auf. Unter den deutschen Pilgern wird natürlich deutsch gesprochen. Kommt aber eine andere Nation dazu, sprechen sofort alle englisch, damit jeder alles versteht. Neulich habe ich sogar ein paar Brocken Französisch verstanden, und das obwohl der Französisch-Unterricht viele Jahre her ist. Bei den spanischen Einwohnern hat man es da schon schwerer. Wenn sie nicht wollen, dann verstehen sie kein Wort von dem was du sagst. Aber auch daran gewöhnt man sich schnell und passt sich an, indem man binnen der paar Tage die nötigsten Worte lernt um etwas zu Essen und Trinken zu bekommen, zu grüßen oder sich zu bedanken. Ich finde es irgendwie auch das Mindeste sich ein wenig anzupassen, wenn man sich als Gast in einem anderen Land aufhält. Und so gibt es jeden Tag ein paar neue Worte auf Spanisch, sehr notwenige wenn auch wenig Nachhilfe in Französisch und ständige Verbesserung und Auffrischung der Englischkenntnisse. Wobei ich sagen muss, dass mein Englisch, wahrscheinlich abgesehen von der Grammatik, wohl doch nicht ganz so schlecht ist wie erwartet. Wenn man es aber zusammenfasst, käme man aber auch ohne diese Sprachen aus, denn die Spanier sind jederzeit Hilfsbereit und Entgegenkommend und somit im Notfall auch bereit, sich mit Händen und Füßen zu verständigen. Das ist auch nicht so schwer, denn die Pilger wollen sowieso alle das Gleich: ein Bett und was zu Essen. Alles andere findet sich automatisch.

Heute war Harz-Tag, denn so sah die Gegend heute aus. Niedrige Nadelwälder am Wegrand und eine schöne hügelige Landschaft. Das Wetter war heute mal angenehm mild, und so kamen wir auch recht gut voran und näherten uns langsam aber sicher dem „100km“-Stein. Tilo hat heute gut Tempo vorgelegt, was letztendlich auch dazu führte, dass wir am „100km“-Stein getrennt ankamen. Eigentlich wollten wir dort gemeinsam unsere Einwegrasierer ablegen. Wir hatten sie bis heute nicht genutzt, warum sollten wir sie also weiter durch Spanien tragen. Jedes Gramm zählt. 

Kurz hinter Sarria kamen wir an einer Herberge vorbei, die wir uns eigentlich für die letzte Übernachtung als Ausweichvariante ausgesucht hatten. Und was soll ich sagen, sehr schön und sogar mit einem Pool. Dort trafen wir auch auf Fabian und Alexis. Wir hatten Fabian in Villafranca erzählt, dass wir Geocaching betreiben und stellten fest, dass wir ein gemeinsames Hobby haben. Da er aber kein GPS mit hat, hatte er bis dato noch keinen Cache auf dem Camino suchen können. Kurz hinter der Herberge, in einem kleinen Waldstück fanden wir einen Cache. Fabian und Alexis mussten irgendwo ein paar Kilometer hinter uns sein. Da wir nicht warten wollten, nahm ich mir einen Stock und schrieb quer über den Weg, in großen Buchstaben „Fabse“, in der Hoffnung, dass er es lesen würde. Den restlichen Weg bis zum Versteck der Dose markierte ich dann mit Pfeilen.


Kurz nach Mittag konnten wir von einem Hügel aus, den ersten Blick auf Portomarin werfen. Die Stadt liegt auf einem kleinen Berg, direkt an einem großen Stausee und heißt eigentlich Neu-Portomarin, denn Alt-Portomarin liegt auf dem Grund des Sees. Lediglich die Kirche hat man vor der Flutung abgebaut und oben wieder aufgebaut. Um dieses zu ermöglichen, hat man jeden einzelnen Stein nummeriert, um ihn dann beim Wiederaufbau an die alte Stelle setzen zu können. Man erreicht den Ort über eine lange Brücke, die über den See führt und an einer großen, steilen Steintreppe endet, die dann hinauf zum Ort führt. (Anm.: Er hat die Zeichen gesehen und ihn wirklich gefunden!)


Wir übernachten heute im „Municipal“, also in der staatlichen Herberge. Sie ist neu gebaut und alles ist sehr hell, ordentlich und sauber.

In unserem, heute wiedermal recht großen Schlafsaal, haben wir ein älteres Pärchen aus Wien kennengelernt. Die Beiden sind herrlich. Er pilgert regelmäßig und ist in St. Jean gestartet und Sie, will mal wissen wie es ist, und ist auf den letzten 100 km vor Santiago, dazugekommen. Er hat einen 40 Liter Rucksack dabei und sie einen 70 Liter Rucksack. Heute hat er ihren Rucksack erst mal ausgeräumt. Zum Vorschein kamen diverse Illustrierte, ein Fön und ein Bügeleisen. Den darauf folgenden Dialog zwischen den Beiden fasse ich mal so zusammen: Der Mülleimer ist jetzt voll, die Herberge hat einen neuen Fön und ein Bügeleisen und ich habe Bauchschmerzen vom lachen. Die Beiden sind super!

Nach Dusche und Wäsche, sind wir dann runter zum See. Eigentlich wollten wir dort baden. So eine Ganzkörperreinigung wäre mal ganz gut. Jedoch war der See trotz tropischer Temperaturen richtig kalt. So setzten wir uns auf eine Treppe, die direkt neben der Brücke, bis ins Wasser führte, und hängten die Beine in den See. So saßen wir dort eine ganze Weile, bis ein Japaner sich zu uns gesellte. 
Einen Augenblick später wurde unser Trio dann durch eine Mexikanerin und eine Spanierin ergänzt. Als die Mexikanerin kam musste ich ein wenig grinsen. Das war Tilo´s schnarchende Bettnachbarin aus Triacastela. Später stellten wir dann in der Herberge fest, dass sie das Bett direkt unter ihm hat.
Und so saßen wir dann alle fünf nebeneinander und erzählten. Die Gespräche beginnen eigentlich immer gleich: „Wo Kommst du her? Wie lange bist du schon unterwegs?“. Vielmehr fragt eigentlich kaum jemand. Niemand will wissen was du beruflich machst oder ähnliches. Hier geht es nicht darum, ob jemand erfolgreich ist. Hier sind alle gleich, denn sie haben fast alle das gleiche Ziel und das ist der Weg. Hier zählt der Mensch. Das sollten sich einige in dieser Gesellschaft mal zum Beispiel nehmen.
Irgendwann war mit einem Mal das Gekreische groß, als ein kleiner Krebs sich zwischen unseren Füßen durchschlängelte. Als ich ihn sah viel mir ein, dass wir unser Abendessen noch nicht geplant hatte. Ich verbinde jetzt schon jedes Tier mit Nahrung. Da sollte ich mal drüber nachdenken. Ich kann zwar nicht sagen, dass ich ständig Hunger verspüre, aber Appetit. Und ich bin mir auch sicher, dass ich schon ein paar Kilos auf dem Weg gelassen habe. Viel Bauch ist jedenfalls nicht mehr. Tja, der Weg gibt und nimmt.
Nach einiger Zeit kramte der Japaner in seinem Brustbeutel, holte ein paar kleine Zettel heraus, und begann Origami´s für jeden von uns zu basteln. Mein Kranich klebt noch heute in meinem Tagebuch und erinnert mich an diesen Moment.

Nachdem die Haut an unseren Füßen mittlerweile mehr als aufgeweicht war, verabschiedeten wir uns und zogen zurück in die Stadt und gingen auf Nahrungssuche. Am Marktplatz standen zwei große Sitzbänke hintereinander, auf den die Dorfältesten saßen und die Pilger und das restliche Geschehen beobachteten. Nach einem kurzen Besuch in der Kirche, trafen wir durch Zufall Alexis und Fabian wieder, der uns stolz berichtete, dass ein Mädel aus der Gruppe in der sie heute gelaufen sind, die Schrift auf dem Weg erkannt und ihm gezeigt hat, woraufhin er dann wirklich die Dose gefunden hat. „Spirit of Camino“…. Und weil es gerade so nett war mit den Beiden, haben wir beschlossen heute gemeinsam den Abend bei einem deftigen „Buffet a la Ponferrada“ zu verbringen.


Wir sind jetzt gerade vom Abendessen zurück. Ich sitze vor unserer Herberge und ich schreibe noch ein wenig. Es war wiedermal ein sehr lustiger Abend. Nach dem einkaufen haben wir uns um 18:00 Uhr in der Herberge der Beiden getroffen und gemeinsam gegessen. Man kann herrlich über den quirligen Fabian lachen. Morgen werden wir zusammen laufen. Dazu haben wir uns zu halb acht an der Kirche verabredet. Ich bin schon jetzt gespannt wie der morgige Tag werden wird.
Tilo hat heute übrigens das „Double“ geschafft. Was das bedeutet bleibt aber unter uns.
Gute Nacht!




Fazit des Tages: „Wieder Freunde gefunden.“

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