08. Juni 2014
2. Tag - 1. Etappe
Leon > Hospital de Orbiego >
Astorga - 56km/18km
Pfingstsonntag,
es ist 7:00 Uhr. Die Nacht war kurz, da Leon sich vorgenommen hatte, unsere
Ankunft zünftig zu feiern. Gut, eigentlich haben sie ja Pfingsten gefeiert,
aber was soll´s. Ist doch Ansichtssache. Wir kommen trotzdem gut hoch und
packen unsere Sachen zusammen. Jetzt ist es also soweit. Endlich geht es los.
Fast ein Jahr haben wir auf diesen Moment gewartet. Ich setze noch kurz eine
Nachricht an die Familien ab, dann gehen wir zum Frühstück. Es gibt ein
Croissant mit Konfitüre und dazu Milchkaffee. Übersichtlich aber gut. Vor dem
Cafe zogen die ersten Pilger vorbei. Wir freuten uns wie die Schneekönige.
„Guck mal da! Ein Pilger! Und da noch Einer!“ Es war also sozusagen unsere
erste Begegnung mit „echten“ Pilgern.
Zurück
im Hotel schnappen wir uns unsere Rucksäcke und checken aus. Wie aus dem Nichts
sagt Tilo zu der Frau an der Rezeption: „Sello?“ Ich dachte nur >Hä<, was
will er denn jetzt von Ihr. Sello? Ach ja, Sello heißt Stempel, und den
benötigen wir ja täglich für unseren Pilgerpass. Dieser Pilgerpass kennzeichnet
uns als Pilger. Und um in Santiago die begehrte Compostela zu erhalten,
benötigt man jeden Tag mindestens einen Stempel und auf den letzten 100 km
sogar zwei pro Tag. Die Stempel erhält man in den Herbergen, in Kirchen und
auch in Cafés. Nun sollten wir als hier unseren ersten „Sello“, auf dem Weg,
bekommen. Wo nun war aber mein Pilgerpass? Tilo, wie immer gut sortiert, zog
ihn ganz entspannt aus seiner Gürteltasche, während ich ihn erst aus den Tiefen
meines Rucksacks ans Licht befördern musste. Lektion am Morgen: Pilgerpass
immer am Mann haben!
Punkt neun standen wir dann vor dem Eingangsportal der Kathedrale zum Zwei-Mann-Cacher-Treffen. Geocaching ist in Spanien bei weitem nicht so populär wie in Deutschland. Nun denn, Punkt ist Punkt. Wenn alles geklappt hat, habt Ihr uns in diesem Moment auf der Webcam von Leon sehen können.
Um halb zwölf saßen wir dann im Bus nach Hospital de Orbiego, wo wir nach einer halben Stunde ankamen. In Hospital de Orbiego fand an diesem Tag ein Mittelalter-Fest statt. Überall tummelten sich Menschen in alten Rüstungen und Kleidern. Wir gingen nun aber erst mal zu unserem eigentlichen Startpunkt, der mittelalterlichen Römerbrücke. Auf der Mitte der Brücke kamen uns dann auch wieder Pilger entgegen. Wir machten ein paar Bilder und zogen zurück in das Dorf. In einem kleinen Supermarkt besorgten wir uns ein bisschen Brot, Käse und Salami und ein paar Liter Mineralwasser zum trinken. Gegenüber der Kirche machten wir es uns auf einer kleinen Mauer zu essen bequem. Immer wieder zogen mittelalterliche Spielmannszüge an uns vorbei. Überall waren kleine Verkaufsstände aufgebaut. Jetzt war es aber langsam genug mit dem rumsitzen. Ich will jetzt laufen. Also ging es ab in Richtung Ortsausgang.
Ultreia!
Nun hatten wir das Dorf also endlich verlassen und waren mitten in der Natur auf einem schönen breiten Feldweg unterwegs. Vor uns ein paar Pilger, und hinter uns auch. Das Wetter war herrlich und so kamen wir richtig gut voran. Am Horizont konnten wir schneebedeckte Berggipfel erkennen. Müssen wir dort in den nächsten Tagen hoch?
Das nebeneinander zu laufen keinen Sinn macht hatte ich ja bereits bei unserem Probelauf festgestellt. Und so liefen wir mit kleinem Abstand hintereinander her. Der Weg war recht abwechslungsreich. Mal ging es ein wenig rauf und dann wieder durch lange Ebenen. Gesäumt war der Weg teilweise von großen Pinien und dann aber auch wieder lange von nichts. Da war dann einfach mal gar nichts. Frei Sicht bis zum Horizont, nur unterbrochen durch ein paar Büsche. Es wurde langsam wärmer und der Weg immer staubige. Direkt auf dem Weg hatten Pilger aus Steinen immer mal Bilde gelegt. Mal war es ein Pfeil, mal eine Muschel und mal ein Herz. An einer Stelle am Weg, stand unter einem kleinen Baum eine Bank mit einem Tisch. Davor stand ein Kreuz auf einem Haufen kleiner Steine und daneben ein mannshohe Puppe. Scheinbar hatten einige Pilger dieser ihre Sachen angezogen. Ein Ort zum ausruhen.
Als wir durch ein Dorf gingen überholten wir ein kleine alte Asiatin. Sie ging sehr, sehr langsam und man merkte, dass es Ihr schwer viel. Wie weit sie wohl schon gelaufen ist? Wie weit sie wohl am Tag kommt? Und warum sie sich das antut? Ich hätte sie das alles gerne gefragt, aber die Zeit war leider nicht. Vielleicht treffe ich Sie nochmal wieder. Ich grüßte freundlich und wünschte Ihr einen „Buen Camino!“. Das war dann das erste Mal, dass ich diesen Satz sagte. Ich wusste noch nicht, dass ich diesen Satz in den nächsten zwei Wochen noch hunderte Male sagen werde.
Nach einem kurzen Aufstieg, sahen wir auf einer Ebene, ein paar hundert Meter vor uns, die Ruine einer alten Finca. Als wir näher kamen sahen wir, dass dort jemand lebte. Es war ein junger Mann der vor der Finca, bzw. deren Rest, ein kleiner Wagen stehen hatte, auf dem er frisches Obst und Getränke an die Pilger verschenkte bzw. gerne ein kleine Spende nahm. Menno, der stand dort genau zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, denn es war mittlerweile sehr heiß. So nahmen wir das Angebot gerne an. Während er eine unterarmlange Machete rausholte und eine Melone aufschnitt, erzählter er uns, dass er seit fünf Jahren dort lebt und die Pilger, gegen eine kleine Spende, versorgt. Wer möchte kann auch gerne über Nacht in seinem kleinen Verschlag bleiben. Bevor wir gingen fragte ich sicherheitshalber nochmal nach, was wir ihm schuldig sind. Er sagt: „No, no! It´s all for less! This is the spirit of Camino!” Wir bedankten uns, nahmen uns noch zwei Bananen für den Weg und hinterließen eine Spende, bevor wir weiter zogen.
>The Spirit of Camino< Ich war angekommen!
Kurz ging es nochmal kurz bergauf, als wir auf eine Gruppe von drei Frauen trafen, die sich angeregt auf Spanisch unterhielten. An einem kleinen Brunnen überholten wir sie. Als sie uns deutsch sprechen hörten, gaben sie sich dann als eine bunte Truppe aus einer Französin, einer Amerikanerin und einer Deutschen zu erkennen, die sich auf Spanisch als gemeinsame Sprache geeinigt hatten.
Hinter dem Ortseingang erwartete uns dann nochmal eine kleine Herausforderung. Über die Bahngleise hatte man eine Radfahrerbrücke gebaut, die sich im Zick-Zack bis zu einer Höhe von ca. 8 Metern, vor uns aufbaute. >Freude! Das ist doch jetzt nicht wahr! Macht doch einfach die Schranke hoch!< Sie hörten nicht… Als wir die Brücke hinter uns hatten, ging es steil Berg auf ins Stadtzentrum, wo wir direkt an einem kleinen Platz mit einer Pilgerstatue stoppten. Hier sollte jetzt eigentlich unsere Herberge sein. Wie sieht so eine Herberge eigentlich aus? Keine Ahnung! Aus einem Haus kam eine junge Frau uns sah wohl unsere suchenden Blicke. Sie prach uns an. „Albergue Municipal?“ „Yes, ähm, Si!“ Sie zeigte auf das Haus, aus dem sie gerade kam! „Thank you, ähm, Gracias!“ Na dann wollen wir mal unsere erste Pilgerherberge beziehen.
Als wir eintraten waren noch ein paar Leute vor uns dran und so warteten wir geduldig. Mit einmal zog wieder eine Frau Ihre Schuhe aus. Ich befürchtete das gleiche Schauspiel wie am Morgen in Leon. Wie ich feststellen musste, geht es aber noch schlimmer. Zum Vorschein kam ein Fuß, dessen großer Zeh von einer dicken blutunterlaufenen Blase bedeckt war. Nochmal Autsch! Man hat Ihr direkt geraten sofort ins Krankenhaus zu fahren, was Sie auch tat. Kurz bevor wir dran waren, kam ein lustiges Pärchen rein. Er Deutscher und sie Amerikanerin. Beide etwa Anfang zwanzig. Er schimpfte laut in einem Mix aus Deutsch und Englisch vor sich hin, während sie konterte und versucht ihn zu beruhigen. (@Alexis und Fabian: Das war unsere erste Begegnung!)
Wir waren dran. Pilgerausweise raus, Personalausweis raus, fünf Euro auf den Tisch. Fertig! Nun zeigte man uns unsere Betten und erklärte uns was wir wo finden, und das die Schuhe, wegen dem Geruch und Schmutz, bitte draußen auf der Treppe abgestellt werde. Unser Zimmer besteht aus sechs Doppelstockbetten. Dann wollen wir mal. Tilo unten, ich oben. Im Bett an meinem Fußende lag eine schnarchen Asiatin (16:00 Uhr!). Nun die Sachen abstellen (Rucksack nie aufs Bett legen), dann das Waschzeug raus und ab unter die Dusche. Sich waschen, Unterwäsche waschen. Danach intensive Fußpflege. Die Herberge mit insgesamt 165 Betten hatte unter anderem eine kleine Terrasse, wo wir unsere Wäsche aufhängen konnten und ein bisschen ausruhen. Ich trank in Ruhe meinen 1L-Mix aus Multivitamin und Magnesium. Das hatte ich mir für jeden Tag vorgenommen, um Muskelkater etc. vorzubeugen. Es waren zwar nur 18 km, aber man muss es ja nicht herausfordern.
Gegen Abend tingelten wir in die Stadt, denn wir wollten ja auch noch ein bisschen was sehen. Die Innenstadt von Astorga ist schön, kann aber mit Leon nicht wirklich mithalten. Die Kathedrale und der Gaudi-Palast bilden das Zentrum. Der Gaudi-Palast sieht auch in Echt so aus, als sei er eine Requisite aus einem Disney-Film und jedem Moment würde Aschenputtel oder Dornröschen herauskommen.
Auf dem Markt suchten
wir uns dann einen Platz auf der Terrasse eines der Restaurants. Dort gab es
dann unser erstes Pilgermenü. Gemischter Salat mit Oliven, Hähnchenkeule und
als Dessert ein Joghurt. Dazu eine Flasche Wein. Das alles für 10,00 €, das
passt. Das Essen war zwar „übersichtlich“, aber gut. Wir saßen dann noch bis
halb zehn dort und gingen, als der Wein dann Wirkung zeigte, langsam zurück zu Herberge.
Dort tranken wir auf der Terrasse noch ein „Feierabendbier“, bevor es nach der
kleinen Abendwäsche ab ins Bett ging. Dort erwartete uns bereits die immer noch
schnarchende Asiatin und, auch tief und fest schlafend, das junge
deutsch-amerikanische Pärchen.
Mit
dem monotonen Schnarchen der anderen im Ohr, bin ich dann gegen 22:00 Uhr sehr
schnell eingeschlafen.
Fazit des Tages: „Auch Hippies haben
Ihre Daseinsberechtigung!“
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