Wir waren dann mal weg…

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Tag 04 - 10.06.2014: Foncebaddon - Cruz de Ferro - Ponferrada

10. Juni 2014
4. Tag – 3. Etappe
Foncebadon > Ponferrada - 27km (1000hm)



Guten Morgen! Es ist halb sechs und ich werde von leisem rascheln geweckt. Draußen ist es A….kalt. Also so richtig kalt. Katzenwäsche, Anziehen, Kaffee. Kaffee und Tee, sowie ein paar Kekse stehen schon bereit. Ich habe das Gefühl, dass wir draußen Temperaturen um die Null Grad haben. Nun, wir sind ja mittlerweile auch auf fasst 1500 Metern Höhe. Wir ziehen also alles an was wir da haben, denn wieder ausziehen können wir es immer noch und ein Schnupfen wäre ja jetzt nicht so passend. Wir machen noch ein ein Selfie mit den Hospitaleros, werden herzlich von Ihnen verabschiedet und dann geht es raus in die Kälte. Es ist immer noch stockdunkel. Am Ende des Tages wollen wir in Ponferrada ankommen. Aber jetzt geht es als aller erstes rauf zum „Cruz de Ferro“. Ich freue mich riesig darauf, bin hibbelig und aufgeregt!







Ich sitze auf einem Stein am Cruz de Ferro! An dem Ort, wo seit hunderten von Jahren Pilger symbolisch einen Stein und damit ihre Sorgen und Nöte, oder auch Wünsche ablegen. Das Kreuz steht auf einem rund fünf Meter hohen Holzpfahl und rundherum liegen tausende kleine und große Steine.  Ja, jetzt bin ich wirklich angekommen. Dies war eigentlich mein Hauptziel. Hierher zu kommen, meine Steine, die meiner Familie, von Freunden und Bekannten abzulegen. Irgendwie habe ich das Gefühl, am Ziel meiner Reise zu sein! Im Moment, als die Sonne über die Berggipfel kam, sind wir am Cruz de Ferro angekommen. 
Auf dem Weg dorthin haben wir noch den jungen Berliner getroffen, der nur kurz am Kreuz war und zurück zur Herberge lief. Er muss heute Pause machen, da er eine Entzündung im Ohr hat und ärztliche Hilfe benötigt. Ich glaube der ist richtig witzig und interessant. Es würde mich freuen, ihn näher kennen zu lernen.
Wie beflügelt haben wir die letzten hundert Höhenmeter genommen. Es lag viel Nebel im Tal, während sich die Sonne langsam über die Berggipfel mühte. Als ich vor dem Stamm stand, leuchtete das Kreuz im Schein der Sonne. Mir tränten die Augen. Und so wie es mir ging, ging es auch den anderen Pilgern die mit uns dort waren. Jeder weint mindestens einmal auf dem Weg, jeder!
Es ist einfach zu schön. So schön und bewegend, dass man es eigentlich nicht beschreiben kann. Ich krame meine große Tüte mit den Steinen und Anhängern aus dem Rucksack. Jeden einzeln nehme ich in die Hand und fotografiere ihn vor dem Kreuz. Bei jedem Stein muss ich an denjenigen denken, der ihn mir mitgegeben hat. Und irgendwie ist es so, dass ich mich eigentlich bedanken möchte, dass ich dieses tun durfte. Ich weiß, dass hinter einigen der Steine ein schweres Schicksal steckt und hoffe, dass ich vielleicht ein wenig helfen konnte.
Nach über einer Stunde habe ich alle Steine und Anhänger fotografiert. Behutsam lege ich die Steine auf einer Steinplatte vor dem Kreuz ab und hänge die Anhänger direkt an den Stamm. Nochmals fotografiere ich alles.
Wo ist eigentlich Tilo? Nachdem wir angekommen waren, haben wir zusammen Fotos von uns am Kreuz gemacht und dann hat jeder sich mit seinen Steinen beschäftigt. Da sehe ich ihn, angelehnt an einen Pfeiler der kleinen Kapelle, in der Nähe des Kreuzes stehen. Ich lasse ihn einfach noch einen Moment in Ruhe. Wir genießen beide nochmal einen Blick auf das Kreuz, im Gegenlicht der Sonne. Dabei ist eins der schönsten Bilder unseres Weges entstanden. 


Danke, dass ich hier sein durfte! Ich glaube ich habe mein Ziel schon erreicht.

Nun beginnt der Abstieg in Richtung Ponferrada. Wir haben einen noch mehr als 20km langen Abstieg über 1000 Höhenmeter vor uns. Auf geht’s!

Es ist früher Nachmittag, als wir in Ponferrada ankommen. Boah, bin ich platt! Ein Abstieg ist nicht zu vergleichen mit einem Aufstieg. Mir tut irgendwie jeder Knochen weh. Und eine Stunde nachdem wir angekommen sind, war mein eines Knie dick wie ein Kindskopf. Und das alles, obwohl ich brav meine Stöcker benutzt habe. Aber von vorne:
Nach dem Cruz de Ferro ging es noch langsam, an einer asphaltierten Straße, bergab. Bald kamen wir nach Manjarin, einem kleinen alten, verfallenen und fast  verlassenen Dorf. Rund 100 Jahre lang lebte niemand in dem Ort, bis in den 90ern ein Mann namens Tomás, den wir leider nicht kennenlernen konnten, dort eine kleine, sehr einfach Pilgerherberge in der Tradition der Tempelritter eröffnet. Man sagt er sei selbst Pilger gewesen, aber sozusagen dort hängen geblieben. Seine Herberge hat kein fließendes Wasser und auch keine Heizung. Strom soll es wohl mittlerweile geben. Auf Wunsch erteil Tomás den vorbeikommenden Pilgern den Pilgersegen in Tradition der Templer. Die Herberge besteht eigentlich nur aus einem Bretterverschlag, ein paar Tischen und Liegen. Außen herum ist sie mit vielen Wegweisern geschmückt, so dass man direkt sieht, bis Santiago noch 222km und beispielsweise in die Pfalz wären es mal eben 1785km.

Der nun beginnende Abstieg war wirklich anstrengend. Sehr schmale Bergpfade, manchmal einen Meter breit, manchmal aber auch nur einen halben. Kindskopfgroße Steine lagen lose mitten auf dem Weg, so dass man sich eigentlich ständig konzentrieren musste. Zwischenzeitlich kamen immer wieder Fahrradpilger von hinten und man musste ausweichen. Dabei musste man aber auch wieder aufpassen, dass man auf den teilweise serpentinenartigen Wegen nicht wegrutscht. Als wir in einer Kurve auf eine Lichtung kamen, sahen wir auch das erste Mal streunende Hunde, und die waren nicht gerade klein. Sie liefen auch direkt auf die Pilger zu, wahrscheinlich um Futter zu erbetteln. Sobald ein Pilger aber seinen Stock hob, oder auch nur einen kleine Stein aufhob, liefen sie verschreckt ein paar Meter zurück. Ich möchte gar nicht wissen was die armen Tiere schon alles erleben mussten, dass sie so verschreckt reagieren.
Irgendwann gegen Mittag, direkt nach einer steilen Serpentine,  haben wir auf einer kleinen Lichtung unsere Mittagspause gemacht. Die Natur hatte uns die notwendigen Möbel bereitgestellt. Einen Stein als Tisch und einen umgekippten Baumstamm als Bank. Und was gab es heute: Baguette, Käse und Tomaten. Sogar gewürzt, dank des Mini-Pfeffer-Salz-Streuer´s, den mir meine Mädels geschenkt haben. Während wir dort saßen, hatten wir eine gute Sicht auf den Pfad, den wir gerade herunter gekommen sind. Es kamen immer mehr Pilger herunter und auch immer wieder Radfahrer mit einem entsprechenden Tempo. Einer musste in der letzten Kurve eine Vollbremsung machen und wäre dabei beinahe geradeaus den Hang herab gestürzt. Das war knapp!

Kurz vor Ponferrada kamen wir durch Molinaseca, einem wunderschönen Ort, der durch einen Fluss, in dem man sicher herrlich baden kann,  getrennt wird. Nach dem wir Molinaseca, nach einem kurzen Geocaching-Abstecher, passiert hatten,  ging es in einem lang gezogenen Bogen durch ein Vorort endlich in Richtung Ponferrada. Wir hatten uns für die im Pilgerführer empfohlene Herberge „San Nicolas de Flue“ entschieden.
Die Herberge ist sehr groß und komplett modernisiert. Im Keller befinden sich die großen Schlafsäle mit insgesamt 175 Betten in mehreren Räumen. In unserem Schlafsaal gibt es insgesamt siebzehn Doppelstockbetten. Alles ist sehr hell und freundlich eingerichtet. Die Anmeldung erfolgt im Innenhof, direkt vor dem Eingang. Wir werden von einem deutschen Hospitalero empfangen, der uns aber natürlich erst mal auf Englisch anspricht. Erst nach ein paar Sätzen merken wir alle, dass wir Deutsche sind. So schlecht kann mein Englisch also doch nicht sein.


Wir bezogen unsere Betten und unser tägliches Ritual des Ankommens begann. Duschen, waschen, Energydrink mixen und auf ex trinken. Ich saß gerade im Garten auf einer Bank, genoss die Sonne und telefonierte kurz mit meinen Mädels, als ich feststellte, dass irgendwie mein Knie immer mehr schmerzt und im Minutentakt mehr anschwillt. Na Bravo! So musste ich also das erste Mal die Reiseapotheke zücken. Ich hatte bei der Apothekenplanung alle Eventualitäten bedacht und so gab es erst mal eine Runde Voltarensalbe. Wird schon werden. Als wir dann nach Ponferrada rein gelaufen sind, merkte ich beim Laufen dann eigentlich auch keine großen Schmerzen. Das sollte sich aber noch ändern. Wir liefen in Richtung Castillo de Ponferrada, einer mittelalterlichen Templerburg, die wir uns unbedingt anschauen wollten. Die Ursprünge der Burg gehen bis in das 12. Jahrhundert zurück. Die Templer schützen seinerzeit von hieraus die Pilger auf Ihrem Weg. Die Burg ist unwahrscheinlich imposant und groß. Wieder machen wir viele Fotos. 

Auf dem Rückweg zur Herberge, sind wir gleich noch ein wenig einkaufen gegangen. Wir hatten beschlossen: Heute bleibt die Küche kalt und es gibt „Buffet á la Ponferrada“. Und so kauften wir Brot, Käse, Schinken, Salami, Tomaten, Oliven, Thunfisch, Wasser und Wein. Auf dem Rückweg meldete sich mein Knie, da es wieder ein wenig bergab ging. Es wollte mich wohl daran erinnern, dass es noch da ist und eigentlich keine Lust auf Laufen mehr hat. Das hätte es aber auch netter machen können.

Zurück in unserer Herberge stellte ich beim ersten Schluck Wasser fest, dass ich karbonisiertes gekauft hatte. Das ging ja jetzt gerade gar nicht. Somit hieß es nochmal los und richtiges Mineralwasser holen. Das ist jetzt aber das letzte Mal. Ab morgen trinke ich, wie Tilo, Brunnenwasser. Das ist zwar manchmal etwas chlorig, aber sauber. Was soll passieren. Ein weiterer Vorteil ist ein gutes Kilo weniger Gepäck und darüber wird sich mein Knie freuen. Nach zwanzig Minuten war ich zurück und hatte richtig Hunger. Wir machten es uns an einem Tisch auf der großen, weinbehangenen Terrasse bequem und bereiteten unser Buffet. Während wir uns in aller Ruhe genüsslich darüber hermachten, beobachteten wir ein bisschen die Leute und haben versucht den einen oder anderen ein wenig einzuschätzen. An einem Tisch saßen drei Franzosen. Einer davon war am Vorabend mit uns in Foncebadon. Er sagte dort, dass gerne Brot ist und viel Wein trinkt, womit er auch jetzt beschäftigt war. Da war auch wieder die Gruppe junger Amerikaner und unser junge Mann aus Berlin. Der Arztbesuch war gut gelaufen. Rechts neben uns saß ein junges deutsches Pärchen beim Abendessen. Etwas abseits auf einer Bank, saß ein Pilger im Reiseleiter-Stil. Wir sehen immer wieder Pilger in frisch gebügelten Hemden. Wie machen die das? Wir taufen den „Reiseleiter“ Hans-Peter aus Hamburg. Links von uns sitzt ein Paar mittleren Alters. Sie meckert mit ihm und maßregelt ihn ständig. Das erinnert mich irgendwie an „Gerd und Schnabbel“ aus Kerkelings Buch.
(Anm.: Wir sollten Alle die gerade beschrieben wurden, noch näher kennenlernen und daraus wurden echte Freundschaften.)

Irgendwann zeigte dann Wein auch mal Wirkung und wir zogen pünktlich um zehn in Richtung Schlafsaal. Ich wollte noch irgendwo das Handy laden, das wurde aber nichts. Alle Steckdosen waren übersät mit Verteilern und in jeder freien Dosen steckte ein Ladekabel. Mal gut, dass ich am Nachmittag schon mal nachgeladen hatte.
Nachdem ich mein Knie nochmal versorgt hatte, die Schwellung hat sich kein Stück verbessert, ging es zur Katzenwäsche und danach ins Bett. Aber was war das? Genau über meinem Kopf hing ein Abflussrohr, das wohl von den oben liegenden Toiletten stammte. Anhand der Geräuschkulisse, konnte ich nach wenigen „Spülgängen“ feststellen, ob der Nutzer … oder … gemacht hat. Ich fand das irgendwie witzig.
Letztendlich hatten wir aber alles in allem einen wunderschönen Tag hinter uns. Ich war am Cruz de Ferro und habe unbezahlbare Momente dort erlebt, wir hatten wie immer herrliches Wetter und haben wieder nette Menschen getroffen.

Morgen wollen wir nach Villafranca de Bierzo und danach beginnt der „Camino Duro“ – Der harte Weg.
Gute Nacht!


Fazit des Tages: „Manchmal ist der Weg steinig und schwer!“

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