Wir waren dann mal weg…

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Tag 05 - 11.06.2014: Ponferrada - Villafrance del Briezo

11. Juni 2014
5. Tag – 4. Etappe
Ponferrada > Villafranca del Bierzo – 24,8km


Guten Morgen und Autsch! Das Knie ist dick und schmerzt! Pause? Nein!
Es ist sechs Uhr als ich wach werde. Nach der Morgentoilette habe ich mir erst mal einen Kaffee besorgen wollen. Hierfür gibt es im Eingangsbereich einen Automaten. Bloß blöd, wenn man kein Kleingeld hat. Ich also hin zum Hospitalero und versucht zu wechseln. Leider hatte er nicht genug Kleingeld zum Wechseln, schenkte mir aber direkt die 50 Cent für den Automaten. Da war mein Morgen erst mal gerettet. Später habe ich mir die 50 Cent von Tilo geben lassen und gab sie ihm zurück, was ihn sehr freute. Im Hof vor dem Eingang haben wir uns dann von den Hospitaleros 
verabschiedet und das obligatorische Selfie mit ihm gemacht. Er hatte heute Verabschiedungsdienst. Das heißt, dass von ihm jeder Pilger mit einem herzlichen Drücken, einem festen Handschlag und einem freundlichen „Buen Camino“ verabschiedet wird. Das war ein schöner Start auf den heutigen Weg.

Es ist erst halb zwei und wir sind gerade in Villafranca del Bierzo angekommen. Heute waren es bis hierher nur knapp 25km. Der Geist ist willig, doch das Knie ist schwach. Und da es morgen auf den „Camino Duro“ geht, bleiben wir definitiv hier. Es reicht für heute. Die Schwellung am Knie ist trotz Salbe, Schiene und Wanderstöcken nicht besser geworden und ich habe mich heute durch die Etappe gehumpelt. Ich werde versuchen, mir nachher in der Stadt irgendwas zu besorgen, denn mit Voltaren komme ich hier nicht mehr weiter.
Das Ganze hat auch einen charmanten Vorteil. Da es noch so früh ist, bekommen wir eine Platz in der Herberge „Ave Fenix“ von Jesu Yato. Ein absolutes Muss auf dem Weg. Laut „hören-sagen“, baut und bastelt Yato und seine Hospitaleros ständig an der Herberge herum und erweitern sie. Ich bin gespannt was uns erwartet.

Der Weg lief heute aber eigentlich gut. Es war sehr warm. Ich schätze wir hatten so um die 35°C. An einer Landstraße mussten wir am Fahrbahnrand laufen. Obwohl wir auf der linken Seite gelaufen sind und er Verkehr uns also entgegen kam, hatte ich manchmal das Gefühl, dass der eine oder andere spanische Autofahrer ein Hobby namens “Pilgerscheuchen” hat. Einmal hat mich einer wirklich fast erwischt. Ansonsten ging es heute durch wunderschöne, endlose Weinberge, ohne viel auf und ab. Das wird morgen sicher anders.
Unterwegs haben wir heute wieder viele Menschen getroffen. Es ist immer wieder schön, wie freundlich die Menschen mit den Pilgern umgehen. Fast jeder grüßt dich und wünscht dir einen “Buen Camino”. Ein klein wenig, aber nur ganz klein wenig, haben wir heute auch gesündigt, denn wir haben Kirschen geklaut. Aber es war auch einfach nicht möglich zu wiederstehen. Am Weg waren viele Kirschplantagen mit dicken roten Süßkirschen. Nur die Bäume am Weg waren leer, da wohl viele  Pilger diese Art der Einladung im vorbeigehen annehmen. Und so konnten auch wir die Einladung nicht ausschlagen. War lecker!
Am Ortseingang von Villafranca del Bierzo befindet sich die Kirche “Iglesia de Santiago”. Seit 400 Jahren erhalten Kranke und Schwache hier Ihre Gnaden-Compostela, wenn sie die an der Nordseite befindliche Gnadenpforte durchschreiten. Mein Knie war zwar dick und schmerzte, aber so schlimm war es dann doch nicht.

Es ist jetzt 14:00 Uhr und wir dürfen in die Herberge. Unter einem kleinen Sonnenschirm sitzt ein Hospitalero und nimmt die Daten auf. Im Anschluss zeigt er uns, wo die Betten sind und wo wir die Waschgelegenheiten finden. Es ist alles sehr uhrig. Unser Schlafsaal ist direkt unterm Dach. Trotz über 30°C ist es hier oben angenehm.  Und so beginnt das  tägliche Prozedere. Seit unserer Ankunft in Astorga hatten wir eine Art Rhythmus für uns festgelegt, den wir auch bis zum Schluss durchziehen wollen (Anm.: Wir haben ihn durchgezogen). Nach dem uns das Bett zugewiesen wurde, haben wir unsere Rucksäcke davor gestellt und unsere Schlafsackrolle auf das Bett gelegt, das somit besetzt war. Danach gründlich duschen und die körpernahe Wäsche waschen. Dann erst mal Pause, Tagebuch schreiben, Fußpflege und ich trinke meinen selbstgemischten Magnesium-Vitamin-Mix. Ich habe bis jetzt keinerlei Muskelkater oder ähnliches, also hilft es. Danach oder während  dessen, gibt es meistens erst mal ein Bier. Wir wollen uns nicht alkoholisieren, aber wir brauchen die Nährstoffe zurück, die wir den Tag über ausgeschwitzt haben. Wenn wir das dann durch haben, geht es auf Nahrungssuche. Pilgermenü oder “Buffet a la Ponferrada”, das ist die Frage.
Heute haben wir uns entschieden, gemeinsam mit den anderen Pilgern, in der Herberge das Pilgermenü zu essen. Das wird bestimmt wieder ein interessanter Abend. Es soll Gemüsesuppe, Salat und Cordon Bleu geben. Regionale Küche, von einem Hamburger Koch, der seit einiger Zeit hier mit in der Herberge lebt.

Die Zeit bis zum Abendessen nutzen wir für einen Stadtbummel und ein bisschen Geocaching. Villafranca ist ein schöner kleiner Ort. Auf dem Marktplatz kommen wir mit einem holländischen Radpilger ins Gespräch. Und siehe da, direkt dort wo wir sitzen, ist eine Apotheke. Da will ich doch mal schauen, ob man dort vielleicht etwas für mein Knie hat. Gesagt getan. Nach dem wir uns Aufgrund der Sprachbarriere auf Englisch-mit-Händen-und-Füßen geeinigt haben, konnte die Apothekerin mit auch gleich helfen. Sie schaute sich mein Knie an und zeigte mit der Hand nach unten (Berg ab). Das konnte ich natürlich direkt bestätigen. Sie hat sich mit der Apotheke auf derartiges eingestellt und ging zu einem Regal an dem diverse Einlegesohlen mit Gelpolstern hingen. Sie erklärte mir die Polster und sagte ich solle diese nehmen. Welche Größe? Ich sagte das ich Schuhgröße 42/43 habe, die Schuhe aber 44/45 sind. Dann solle ich die 42/43 nehmen. Ich sagte ihr, dass ich dann aber wohl keinen Halt haben werde, da die Sohle ja nicht den Schuh ausfüllt. Dann solle ich sie in meinen Sandalen tragen. Sandalen? Morgen beginnt der Duro, da werde ich mit Sicherheit keine Sandalen anziehen. Nee Fräulein, so wird das nix. Auf der Suche nach einer Alternative einigten wir uns auf ein Kräuterkühlgel, dass ich nach dem Laufen mehrmals auftragen sollte. Ich bedankte mich für Ihre Mühe und probierte es gleich aus. Ein tolles Zeug muss ich sagen. Es zog richtig durch und linderte den Schmerz nach wenigen Minuten.

Zurück in der Herberge, waren mittlerweile viele andere Pilger angekommen. Und siehe da, „Schnabel und Gerd“ sowie der junge Berliner und einer der Franzisen aus Ponferrada waren auch dabei. Jetzt geht’s los, dachte ich mir. Ich wollte rausbekommen, was das für Typen waren. Als ich gerade mein Handy mit Strom versorgte, setzen sich „Schnabel und Gerd“ direkt neben mich. Ja, man soll die Gespräche anderer nicht belauschen, aber ich hatte ja keine andere Wahl. Die Beiden planten gerade für sich und andere, die nächsten Etappen. Also eigentlich war es kein Plan, sondern eher ein Diktat. Er konnte sagen was er wollte, es taugte in Ihren Augen nichts. Sie holte dann ein Büchlein raus in dem sie nach Herbergen suchte, da sie ihm ganz deutlich klarmachte, dass wenn sie sich jetzt nicht kümmere, alle in den nächsten Tagen im Freien schlafen müsste und wahrscheinlich von wilden Tieren, von denen es ab sofort ganz viele geben wird, Nächtens zerfetzt werden. Oh mein Gott! Das war dann für mich zu viel des Guten. Das auferlegte Vorurteil hatte sie weites gehend erfüllt und bestätigt. Mein Handy war wieder voll und ich setzte mich zu Tilo, der gerade mit einem jungen Pilger im Gespräch war. Daniel aus Jena. Seit über achtzig Tagen unterwegs und eigentlich vor der Haustür gestartet und will über Santiago bis ans Kap Finisterre. Ich lausche gespannt, was er erzählt. Während wir so plauschen, gesellt sich eine junge Frau dazu. Regina aus Regensburg. Sie läuft den Camino Frances seit drei Jahren in Etappen. Dieses ist der dritte Teil und diesmal will sie bis nach Santiago und auch weiter zum Kap Finisterre. Und am Nachbartisch sitzt der junge Berliner, mit dem wir eigentlich bis heute, jeden Abend in derselben Herberge waren. Ein interessanter Typ. Und so kommen wir auch mit ihm ins Gespräch. Er, Fabian „Fabse“ kommt aus Berlin und sie, Alexis, kommt aus New York. Sie haben sich auf dem Weg kennengelernt und sind mittlerweile unzertrennlich. Und so ging es dann weiter und unsere Pilger-Therapie-Gruppe wuchs minutiös an. Der vollbärtige Franzose (leider habe ich seinen Namen vergessen), Fritzi aus Bayern die hier startet, und Heike-Ute, eine ehemalige Physiotherapeutin und Krankenschwester, die den Weg schon das x-te Mal geht und dann erst mal mein Knie diagnostizierte. Die Diagnose fand ich dann nicht so schön. Meniskus. Ich sollte eine Tag Pause machen. Nun ja, man hört ja nicht immer auf die Mediziner. Wir plauschten miteinander, als sich herausstellte, dass auch Fabian ein Geocacher ist. Da hatten wir dann noch ein gemeinsames Thema mehr.
Der restliche Abend war dann genauso schön wie der Nachmittag. Das Essen im rustikalen Aufenthaltsraum, war sehr gut und der Wein floss wie jeden Abend in Strömen. Wir saßen alle an einem Tisch, lachten viel und machten Fotos. Es ist immer wieder interessant, wie viele verschiedene Nationen an so einem Tisch zusammenkommen, eine gemeinsame Sprache finden und sich super verstehen können. Es wurde ein langer, sehr langer Abend.


Fazit des Tages: „Lauf Forrest, lauf!“

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