Wir waren dann mal weg…

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Tag 06 - 12.06.2014: Villafrance del Briezo - La Faba

12. Juni 2014
6. Tag – 5. Etappe
Villafranca del Bierzo > La Faba – 26km (700hm)


Es ist Punkt 6:00 Uhr, als meine innere Uhr mich weckt. Ich habe sehr gut geschlafen. Nach einem Selfie mit Jesu Yato und einem starken Guten-Morgen-Automaten-Kaffee, sind wir kurz vor sieben Uhr gestartet. Die Qual der Wahl, den steilen Direktanstieg auf den „Camino Duro“ zu nehmen, oder den etwas leichteren an der Straße entlang, hat uns mein Knie abgenommen. Man muss es nicht übertreiben. 

Auf einer Brücke, kurz vor dem Ortsausgang, treffend wir Daniel wieder. Gemeinsam machen wir noch ein paar Fotos. Er fragt uns, ob er diese in seinem Reisebericht und seinem Blog nutzen darf, was wir gerne bejahen. Danach trennt sich unser Weg. Daniel nimmt den direkten steilen Aufstieg und wir gehen in Richtung Straße weiter. Ob man sich wieder sieht? Wer weiß?

Noch 700 Höhenmeter und 25 km, dann sind wir am Tagesziel in La Faba. Heute war für mich die „Kerkeling-Etappe“. Diesen Teil seines Reiseberichtes hatte ich schon viele Male intensiv gelesen und auch gestern Abend im Bett nochmal. Der „Camino Duro“. Heike-Ute, die den Weg ja schon mehrfach gelaufen ist, beschrieb es gestern Abend so: „Das ist so steil, dass Du eigentlich fast auf allen Vieren läufst.“ Kerkeling hatte den steilen Aufstieg abgebrochen und ist auf „einer vielbefahrenen Landstraße, entlang einer reißenden Klamm“ gelaufen. Den Aufstieg zum O Cebreiro beschreibt er dann als „dramatisch“, „unmenschlich“, „beschwerlich“ „stark befahrene Straße“ „lebensgefährlich“ und „Pilgerhölle“. Na dann wollen wir mal.

La Faba. Was für ein Tag war das denn?! Heute hatten wir wirklich von allem etwas. Aber, wie immer, von vorn…

Als wir uns von Daniel verabschiedet hatten, ging es die erste Zeit monoton an einer Straße entlang. Neben der Straße ging es steil bergab. Unten konnte man den Fluß gut erkennen, den Kerkeling als „reißende Klamm“ beschrieben hat. Die Straße war bei weitem nicht so stark befahren wie befürchtet. Was aber auch daran liegt, dass man vor ein paar Jahren eine neue Autobahn gebaut hat, die die Straße stark entlastet. Somit waren dann auch nur vereinzelt Autos unterwegs. Irgendwann kamen wir durch Trabadelo, ein kleines Dorf mit einem Sägewerk, einer Bar und einer Herberge. Dort hatte sich Kerkeling damals mit Ann verabredet und übernachtet.
In La Portela haben wir dann unsere wohlverdiente Pause bei leckerem Milchkaffee gemacht. Das musste erst mal sein. Ab dann ging es auf wunderschönen Waldwegen weiter. Ich war wirklich froh darüber, denn es war mittlerweile brütend heiß geworden. Einmal mussten wir die Landstraße nochmal kreuzen. Dort begegnete uns eine Koffertrolly-Pilgerin. Die gute Frau konnte wahrscheinlich aus irgendwelchen Gründen keinen Rucksack tragen und so zog sie Ihr Gepäck hinter sich her. Wahnsinn, denn die Straße ging hier richtig steil bergauf. Wir zogen es vor, so lange wie möglich den Weg durch den kühlen Wald zu nutzen.

Diese Wälder sind einfach toll. Teilweise absolut unberührt, mit tiefen, über Jahrhunderte ausgetretenen, Hohlwegen. Rechts und links vom Weg erklimmt Efeu die Bäume. Und, was mir besonders aufgefallen ist, überall steht wilder Fingerhut. Das ist etwas, was ich so noch nie gesehen habe. Es hat richtig Spaß gemacht diesen Weg zu laufen. Man hatte Zeit für sich, konnte über vieles nachdenken und wiederum auch einfach abschalten und das alles genießen. Richtig entspannend, denn es ging nur leicht bergauf. Ich fragte mich, wann denn nun dieser höllische Aufstieg beginnen soll, denn laut GPS hatten wir nur noch knapp vier Kilometer bis nach La Faba.

Es war kurz nach 12:00 Uhr, als wir auf eine Lichtung in der Größe eines Fußballfeldes kamen, über die sich der Weg weiter schlängelte. Die Sonne schien herrlich und wir machten erst mal wieder ein paar Fotos. Gerade als ich dachte, dass das doch der ideale Ort für eine Pause wäre, entdeckte ich am Ende des Weges einen kleinen weißen Pavillon. Beim näher kommen, sah ich das neben dem Pavillon eine Frau auf einer kleinen Mauer lag und sich sonnte. Es war ihr Pavillon, unter dem sie, wie unser Hippie-Freund auf dem Wag nach Astorga, Getränke und Obst für die Pilger anbot. Komisch, hier mitten in der Wildnis, wo es doch diesen herrlich kühlenden Wald gab, bietet sie Getränke und Obst an? Ich hatte nicht annähernd Durst oder ähnliches. Als ich dort auf Tilo wartete, sah ich mich um, um schon mal zu prüfen, wie und wo der Weg weitergeht. Als ich mich um sah, viel mir dann direkt das Kinn runter. Direkt hinter mir ging der Weg steil, und damit meine ich so richtig steil, bergauf! Jetzt ahnte ich, was Kerkeling meinte und jetzt wusste ich, warum die Frau mit Ihrem Pavillon genau dort stand. Wir machten beide große Augen.

Ich rauchte erst mal noch in Ruhe meine Zigarette auf und schaute mir an, was mich erwartete. Der Blick aufs GPS verriet mir, dass wir noch rund 200-300 Höhenmeter, verteilt auf knapp zwei Kilometer vor uns hatten. Der Weg, soweit wir ihn sehen konnten, war lehmig und übersät mit glatt-getretenen großen Steinen. Im Regen möchte ich da nicht hoch müssen. Was soll´s, los geht’s.

Jeder für sich stapften wir, so zügig wie es möglich war, den Weg hinauf. In 

jeder Kurve musste ich erst mal tief durchatmen. Ich merkte wie ich von Meter zu Meter langsamer wurde. Aber ich wollte es schaffen! Mein Ego spornte mich an, obwohl ich gerade jede Marlboro meines Lebens bereute. Immer weiter ging es nach oben. Das war die Strecke, die man hätte auf allen Vieren laufen können. An der Seite saß ein älteres Pärchen und ruhte sich aus. Laut vor mich hin schimpfend und schnaufen zog ich an Ihnen vorbei. Zwischen meiner Schnappatmung quetschte ich aber noch ein „Buen Camino“ heraus. Die Beiden mussten lachen und grüßten zurück. In jeder Kurve machte ich eine kurze Pause und musste laut lachen. Ich kriegte zwar kaum Luft, aber über mich lachen konnte ich noch. Ich, der Bürohengst, der nie regelmäßig anstrengenden Sport gemacht hat, tue mir das an. Ich lachte mich aus und gleichzeitig an. Nach endlosen Minuten, und gefühlten hunderten Kilometern, kamen wir aus dem Wald heraus und der Weg wurde wieder eben. Wir waren am Ziel. La Faba!


Meine Atmung verlangsamte sich wieder und ich war stolz wie Oskar, dass ich das geschafft hatte. Dieser Aufstieg war wirklich heftig. Wieder musste ich lachen, aus Stolz, aus Freude und weil ich meinen inneren Schweinhund besiegt habe, der mir doch mehrfach sagte, dass das bestimmt auch gemütlich mit dem Taxi geht. Nein, ich will diesen Weg gehen und ich werde ihn gehen! Für mich, für Menschen die ihn nicht gehen können und vor allem für die Menschen, die an mir gezweifelt haben, denn auch davon gab es in letzter Zeit genug!

Ein kleiner Holzpfeil mit der Aufschrift „Albergue La Faba“ weißt uns den Weg in Richtung Herberge. 
Wir hatten noch überlegt, bis zum O Cebreiro zu laufen, jedoch würden wir dort wohl nicht vor 16:00 Uhr ankommen und dann könnte es mit der Übernachtung schwer werden. So liefen wir die paar Meter Richtung Herberge und erlebten wieder einmal den „Spirit of Camino“. Das Gelände der Herberge war von eine kleinen Natursteinmauer umgeben. Als wir durch das Tor gingen saßen dort an einem Brunnen Daniel und Regina. Wir freuten uns riesig, die Beiden hier wieder zu treffen. Es waren schon einige Pilger vor Ort. Da die Herberge noch geschlossen war, stellten wir unsere Rucksäcke in die Reihe der anderen. Das ist dann so als wenn man selbst in der Reihe ansteht. Der Rucksack hält den Platz frei. Die Zeit bis zur Öffnung der Herberge nutzen wir dann gemeinsam mit den anderen um die heutige Etappe auszuwerten. Irgendwo muss uns Daniel ja, trotz dass er den steilen Anstieg genommen hat,  überholt haben. Ich trennte dann irgendwann meine Hosenbeine ab und siehe da, mein Knie war immer noch dick. Aber das war erst mal nebensächlich. Ich saß auf der kleinen Mauer des Brunnen und während wir plauschten und nochmals gemeinsam über den Aufstieg lachten, hängte ich meine Füße in den Brunnen. Das zischte heute regelrecht. Mal gut, dass es kein Trinkwasser war, denn jetzt wäre es nicht mehr genießbar. Wir planten schon den Abend, als die beiden Herbergsväter kamen und uns auf Deutsch begrüßten. Stimmt, La Faba ist ja eine deutsche Herberge der Stuttgarter Pilgergesellschaft. Wir gingen dann zu unseren Rucksäcken standen dann noch ein wenig an. Ich nutze die Zeit, um mir in Ruhe das Gelände anzusehen. Das Areal war sehr groß und bestand aus zwei Hauptgebäuden. Das eine war die Kirche und das Andere das Bettenhaus. Im hinteren Teil des Bettenhaus befand sich noch ein Anbau, durch den es in einen weiteren Hof ging, der zum aufhängen der Wäsche genutzt wurde. Im Anbau befanden sich nochmal Schlafplätze, die Duschen, Waschgelegenheiten und Toiletten. Alles war in einem sehr, sehr ordentlichen und sauberen Zustand. Im großen Hof zischen Bettenhaus und Kirche standen große Bäume die Schatten spendeten und neben dem Brunnen stand eine Pilgerstatue mit der ich noch ein Selfie machte.

Wir waren gleich an der Reihe und so ging ich zu Tilo. Als wir dran waren stellten sich die Herbergsväter als Wolfgang und Peter vor. Alte Freunde, die sich vor vielen Jahren beim Pilgern kennengelernt haben und nun gemeinsam einmal im Jahr als Hospitaleros auf dem Weg sind. Wir reichten unsere Pilgerpässe und Ausweise und gaben unseren Obolus. Peter zeigte uns dann unsere Betten. Wie erwartet, war auch im Schlafsaal alles super ordentlich und sauber. Nach dem wir unsere Betten belegt und die tägliche Wäsche vollzogen hatten, zog ich mich in aller Ruhe zur Fußpflege und zum Schreiben an den Brunnen zurück.

Nun sitze ich hier am Brunnen, habe meine Füße im kühlen Wasser, trinke meinen Energie-Mix und kann nur sagen: Gott ist das hier schön! Place to be! Hier bin ich Mensch, hier darf ich sein! Es ist einfach herrlich! Wunderbar! Ich genieße jeden Augenblick.

Es ist jetzt kurz vor der Nachtruhe und ich schreibe noch ein wenig. Irgendwann kamen Regina und Tilo auch an den Brunnen und wir planten den Rest des Tages. Im Ort soll es einen kleinen Supermarkt und ein Mini-Restaurant geben. Und so beschlossen wir, heute gemeinsam unser berühmtes „Buffet a la Ponferrada“ zu genießen. Leider haben wir Daniel nicht gefunden und so zogen wir zu dritt in den Ort. Daniel schon gegessen. Schade! Einen Stadtplan brauchten wir nicht, denn der Ort hat nur 13 Einwohner. Davon betreibt einer den Laden, eine Familie das Restaurant, eine Familie reinigt die Herberge und macht Hausmeistertätigkeiten und der Rest betreibt Landwirtschaft. Irgendwie sind wohl auch fast alle miteinander verwandt. Und so fanden wir den Minimarkt sehr schnell und begaben uns auf Einkaufstour durch den 30 qm großen Laden. Käse, Schinken, Salami, Thunfisch, Baguette, Oliven und Tomaten. Dazu ein paar Flaschen Wein und ein Feierabend-Bier. Das Buffet war schnell zusammengestellt. Beim bezahlen fragte ich den Ladenbesitzer wann er morgen denn aufmacht, denn ich hätte dort gerne noch einen Kaffee getrunken, bevor es endgültig auf den Anstieg zum O Cebreiro geht. Er antwortete, dass er gegen 10:00 Uhr öffnet. Spaßeshalber fragte ich nochmal nach und sagte, dass um 6:00 Uhr besser wäre. Er antwortete lächelnd: „Hey, this is Spain! Six a clock is to early form me.” Wir mussten erst mal alle lachen. Ja, es geht hier eben etwas entspannter zu als in Deutschland.
Es ärgert mich heute noch, denn als wir zurückkamen, kurz bevor wir essen wollten, hatte ich Daniel irgendwann gefunden und gefragt ob er mit uns essen möchte. Da kam ich leider zu spät, denn er war schon fertig. Schade!

„Buffet a la Ponferrada“-Version La Faba. An der Rückseite des Bettenhauses befand sich eine kleine Wiese, auf der einige Stein-Sitzbänke befanden. Dort wollten wir es uns bequem machen. Wir tischten alles auf, zogen den Wein auf uns ließen es uns gut gehen. Jeder erzählte ein wenig über sich, was er so macht und so lernten wir uns näher kennen. Für Regina ist es nicht die erste Pilgerreise. Den Camino hat sie sich in drei Etappen aufgeteilt, wovon Sie jedes Jahr eine läuft. In diesem Jahr will sie in Santiago ankommen. Die Zeit verging wie im Flug und so war es schon dunkel, als wir zurück in die Herberge gingen. Wir wuschen schnell unser Geschirr ab und setzten uns zu allen anderen nach draußen in den Hof, auf die kleine Mauer. Dort wartete auch schon Daniel. Wieder lernten wir neue Pilger kennen. Irgendwann kam auch Peter, der eine der Herbergsväter, und brachte uns beiden unsere Pilgerpässe wieder. Wir hatten am Nachmittag bei ihm neue gekauft, da unsere bei unserem Stempel-sammel-Pensum, nicht bis Santiago reichen würden. Und nun war er war so nett, diese für uns aneinander zu kleben. Er gesellte sich zu uns und erzählte von sich und seinen Erlebnissen als Herbergsvater. Es war ein wunderschöner Abend, den wir so gemeinsam mit vielen der anderen Pilger verbrachten. Kurz vor 22:00 Uhr kam dann Wolfgang, der andere Herbergsvater und rief zur Nachtruhe. Nun liege ich in meinem Schlafsack und lasse diesen Tag Revue passieren. Es war der intensivste und schönste bisher. Ich bin gespannt, was der Weg noch so für mich bereit hält. Morgen geht es auf den O Cebreiro. Auf dem Weg dorthin werden wir den Grenzstein passieren und somit Kastilien verlassen und Galizien erreichen. Dann soll es weiter über Alto de Poio nach Triacastela gehen. Es wird nochmal einen schweren Aufstieg geben und dann geht es hinunter ins Tal. Mein Knie freut sich schon drauf und ich auch. Bevor ich es vergesse, morgen ist Freitag der 13te. Der einzige in diesem Jahr. Ich bin eigentlich nicht abergläubisch, werde aber trotzdem vorsichtig sein.


Gute Nacht!


Fazit des Tages: Niemand hat gesagt das es einfach wird, aber jede Anstrengung wird belohnt!

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