Wir waren dann mal weg…

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Tag 13 - 19.06.2014: Arca & Pedrouzo - Santiago de Compostela

19. Juni 2014 - Fronleichnam
13. Tag – 12. Etappe
Arca Pedrouzo – Santiago de Compostela 23,3km


„Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt!“
Es ist jetzt 21:00 Uhr und ich sitze an der Kathedrale von Santiago de Compostela. Ich bin am Ziel!

Vor knapp acht Stunden bin ich, nach 12 Tagen und ca. 300 Kilometern, den schnellen Pilgertod gestorben. Plötzlich, ungeplant und unerwartet. Die Entscheidung fiel so spontan, dass wir uns eigentlich mental gar nicht auf das bevorstehende Ende unserer Pilgerreise einstellen konnten. Nun sitze ich hier mit Tilo auf einer Treppe, vor uns spielt eine Jazz-Band und ich kann das Ganze noch gar nicht richtig begreifen. Also beginnen wir von vorn.


Es muss kurz nach fünf gewesen sein, als die „Camino-Queen“ mich weckte. Draußen war es noch stock dunkel. Ich wusste gar nicht wie mir geschah. Alexis und Fabian wollten so früh wie möglich starten und direkt bis nach Santiago laufen, da für Alexis schon am Samstag der Rückflug beucht war. Und so passten wir uns gerne an und wollten gemeinsam bis zum Monte de Gozo laufen und uns dort verabschieden. Irgendwie ging aber alles so schnell, so dass ich kurz vor halb sechs mit mir alleine vor der Herberge saß, Tilo noch oben war und die Beiden schon auf dem Weg zum Ziel. Wir hatten uns verloren. Zum Glück hatten wir uns auch mit Ihnen für Freitagabend in der Kathedrale verabredet, so dass die Chancen gut waren sie noch einmal zu treffen. Also ließen wir sie ihren Weg gehen und suchten uns erst mal ein Cafe, wo wir dann um sechs einen Cafe con leche bekamen. Jetzt war ich wach. Da wir Zeit hatten, ließen wir es auch ganz entspannt angehen. Die Tagestour sollte heute ja nur etwas mehr als sechszehn Kilometer lang sein.
Wieder sind wir richtig gut vorangekommen, so dass wir schon um 11:00 Uhr am Monte de Gozo angekommen sind. Der Weg lief sich sehr gut und war auch heute wieder von vielen Eukalyptusbäumen gesäumt. Einzig der Aufstieg zum Monte de Gozo war nochmal ein wenig anstrengend.

Oben angekommen schauten wir uns zuerst das große Papstdenkmal an. Von hier aus ist Papst Johannes Paul II. 1982 nach Santiago gepilgert. Es waren sehr viele Pilger und auch Schulklassen vor Ort, so dass wir den richtigen Augenblick abpassen mussten um ein paar Fotos zu machen. Nach einiger Zeit liefen wir dann weiter in Richtung der großen Herberge. Aus Anlass des Heiligen Jahres 1993, wurde der gewaltige Herbergskomplex mit rund 3000 Betten gebaut, um die Massen an Pilgern versorgen zu können, die in solch einem Jahr nach Santiago kommen. Das Besondere am Heiligen Jahr ist, dass dann auch die heilige Pforte, der Kathedrale von Santiago de Compostela, geöffnet ist. Dem, der zum Abschluss seiner Pilgerreise die heilige Pforte durchschreitet, biete die Kirche den vollkommenen Ablass. Im letzten heiligen Jahr 2010, sind über neun Millionen Gläubige in Santiago angekommen. In einem normalen Jahr sind es rund 300.000.  Der Herbergskomplex wirkte um diese Zeit sehr gespenstisch. Keine Menschenseele weit und breit, alles verschlossen und leer. Bevor wir auf die Suche nach der Rezeption gehen wollten, gingen wir aber erst noch zum Pilgerdenkmal, das außerhalb des Komplexes, auf einem Hügel steht. Es stellt zwei Pilger dar, die Richtung Santiago zeigen. Dort angekommen konnten wir dann auch das endgültige Ziel unserer Reise sehen: Santiago de Compostela. So nah und doch so fern, denn wir wollten ja erst morgen dort ankommen. Wirklich erst morgen? Ich war wiedermal unzufrieden. Zumindest ein bisschen. Ja, wir hatten es so geplant, aber selbst jetzt war es erst Mittag. Und ich glaube noch heute, dass Tilo gerade das gleiche dachte, auch wenn er es nie zugegeben hat. ;-) Wieder machten wir viele Fotos, bevor wir den Hügel hinab, zurück zum Herbergskomplex gingen.  Durch den immer noch verschlafen daliegenden Herbergskomplex gingen wir Richtung Rezeption. Auf dem Weg dorthin, hinterfragten wir beide auch das erste Mal etwas lauter, ob die Entscheidung richtig ist. An der Rezeption angekommen, erfragten wir die Übernachtungskosten. Aber eigentlich war es uns auch schon egal. Wir guckten uns in die Augen und sagten:
„Komm, lass es uns zu Ende bringen! Lass uns einlaufen!“.
Wir schulterten unsere Rucksäcke, ich machte mir in Ruhe noch eine Zigarette an und dann liefen wir los. Direkt hinter dem Herbergskomplex begannen die Vororte. Hier war dann endgültig Schluss mit der  Pilgerromantik. Wir waren in einer Stadt, in der ein ganz normaler Donnerstag ablief. Aber das war uns jetzt auch egal. Kurz vor dem berühmten Ortseingangsschild von Santiago, holte ich schon mal den Pilgerführer aus der Tasche um nach Herbergen zu suchen. Es war mittlerweile Mittag und wir wollten dann schon schauen, dass wir schnellstmöglich noch etwas bekommen, denn wir wussten weder wie viele Pilger schon in der Stadt waren, noch wie hoch die Bettenkapazität eigentlich ist.

Und so machten wir uns auf die Suche nach der staatlichen Herberge, die in einer Seitenstraße neben der Hauptstraße liegen sollte. Ab dem Ortseingangsschild, war der Weg zur Kathedrale alle paar Meter, mit einer im Pflaster eingelassenen Jakobsmuschel markiert. Man konnte das Ziel also eigentlich gar nicht verfehlen. Und so kamen wir, immer an der lauten Hauptverkehrsstraße entlang, in mitten des ganz normalen Alltags, langsam der Herberge näher. Jetzt nur noch links und dann, nix. Da war nichts, was nach einer Herberge aussah. Wir suchten noch eine Weile weiter und beschlossen dann, einfach weiter in Richtung Kathedrale zu laufen. So kamen wir dem Stadtzentrum immer näher. Auf dem Weg dorthin gab unser Pilgerführer noch die eine oder andere Herberge an und so entschlossen wir uns für ein Hostel, direkt auf unserem Weg. Wir waren zwar noch ein wenig weit vom Zentrum weg, aber es war egal, ich wollte jetzt auf Nummer sicher gehen und ein Bett für die nächsten drei Nächte. Hätte ich dato schon gewusst, wie weit wir noch von der Kathedrale weg sind, und das noch einige Pensionen auf dem Weg dorthin liegen, hätten wir uns vielleicht um entschieden. Aber egal: Bett, Dach, Dusche, sauber! Alles gut! Und da das Budget eh schon überstrapaziert war, kam es auf die 10,00 € pro Nacht auch nicht mehr an. Oder waren wir „normale“ Preise einfach nicht mehr gewohnt?!

So checkten wir ein, warfen unsere Schlafsäcke aufs Bett, ließen uns noch ein bisschen was von dem dortigen Betreuer erklären und zogen wieder los, in Richtung Kathedrale. Und das ganze natürlich mit komplettem Rucksack, lediglich ohne Schlafsack! Pilger bis zum Schluss! Wir hätten es einfach nicht gut gefunden, entspannt zur Kathedrale zur schlendern und so ist es nur Recht, so dort anzukommen, wie man auch den Weg bestritten hat.
Wir folgten den Muschelwegweisern im Straßenpflaster. Es waren noch rund 2 Kilometer bis zur Kathedrale. Wir liefen durch viele kleine und enge Gassen, immer weiter Richtung Zentrum, immer den Muscheln folgend. Immer mehr Pilger begegneten uns oder kamen uns glücklich entgegen. In den Gassen reihte sich ein Restaurant an das andere und dazwischen immer wieder kleine Souvenir-Shops, mit allen möglichen Pilgerandenken. Durch das Gewusel von Menschen auf unserem Weg, verloren wir irgendwann die Wegweiser im Pflaster aus den Augen und so kam es wie es kommen musste, wir hatten uns mal kurz verlaufen und bereits eine Runde um den Platz gedreht, ohne ihn zu finden. Ja, so hatte es ja auch angefangen, als wir uns vor 12 Tagen nicht an den Pfeilen auf dem Flughafen in Madrid orientieren konnten. ;-)
Schnell hatten wir aber den Weg wiedergefunden. Irgendwie wurden wir nun aber langsamer. Die Euphorie, dass Ziel erreicht zu haben, nach 300 km anzukommen, wich der Ahnung und Befürchtung, nun gleich am Ende einer Reise zu sein, bei der man so viel erlebt und gelernt hat, dass man es eigentlich nie richtig in Worte fassen kann. Verstehen kann es, so glaube ich jedenfalls, nur jemand der es erlebt hat. Es sollte also alles gleich vorbei sein. In wenigen Minuten würden wir den ersten Teil des Pilgertodes sterben, in dem Moment, wenn wir den Vorplatz zur Kathedrale von Santiago de Compostela betreten, dort ankommen, wo seit vielen hundert Jahren Millionen Pilger vor uns angekommen sind. Und jeder Pilger bekommt in Santiago den Empfang, der ihm gebührt und den er sich verdient hat. Was wird uns also erwarten?

Noch zwei Mal um die Ecke und dann sahen wir die Kathedrale das erste Mal. Zwar nur von hinten, aber groß, sehr groß. Wir kommen auf einen Platz direkt hinter der Kathedrale. Vor einer großen Treppe spielt eine Band und viele Leute sitzen auf der Treppe und hören der Musik zu. Langsam gehen wir die Treppe hinauf und noch einmal nach links und gingen wir auf einen Tunnel zu, der letzten Station vor dem Platz an der Kathedrale. Ich hatte bereits zu Hause gelesen, dass hinter diesem Tunnel direkt der große Platz zwischen der Kathedrale, dem Rathaus und dem Hotel Parador ist. Irgendwie waren wir unwahrscheinlich wehmütig, ja vielleicht sogar ein wenig traurig. 
Wir gingen durch den Tunnel, in dem ein Straßenmusikant spielte und dann ging alles ganz schnell: eine Mischung aus Freude, Traurigkeit, Erleichterung, Stolz, Jubel und glasigen Augen überkam uns. Es war großartig. Wir schlossen uns in die Arme und feierten unsere Ankunft! Ja, wir haben es geschafft! 
Eine gute Stunde blieben wir dort. Wir machten viele Fotos und trafen auf Pilger, die wir unterwegs kennengelernt hatten, den einen aus La Faba, die Spanierin aus Portomarin und viele andere. Wo mögen wohl gerade Alexis und Fabian, und Daniel und Regina sein? Ein paar Meter von uns entfernt, ist auch gerade die Gruppe Franzosen eingetroffen. Einer von Ihnen spielt auf seiner Flöte und alle anderen tanzen im Kreis um ihn herum. Immer wieder kommen Pilger auf den großen Platz, insgesamt sind es hunderte. Wir legten uns auf den Boden, nahmen unsere Rucksäcke als Kopfkissen, genossen das den herrlichen Sonnenschein und den Blick auf die Kathedrale.
Dann nahm sich jeder von uns einen Moment für sich. Erst suchte ich mir die berühmte Bodenplatte, die rund 50 Meter entfernt vom Eingang der Kathedrale, in den Boden eingelassen ist. Danach legte ich mich auf dem Rücken auf den Boden, mit dem Kopf in Richtung Kathedrale. Das ist eine unglaubliche Perspektive. Die Kathedrale ist so groß, beeindruckend  und so wunderschön. Und so machte ich noch ein paar Fotos und traf mich dann mit Tilo wieder.
Aus Sicherheitsgründen, es gab in letzter Zeit ein paar Bombendrohungen, darf man die Kathedrale nicht mit einem großen Pilgerrucksack betreten. Und so überlegten wir, in welcher Reihenfolge wir nun unser Pilgerdasein beenden, da es mehrere Rituale gibt, die man am Ende seiner Pilgerreise begeht. Den ersten Teil, die Ankunft an der Kathedrale von Santiago de Compostela, hatten wir vollbracht. Weitere Rituale sind der Besuch der Pilgermesse in der Kathedrale, dass umarmen der Jakobusstatue hinter dem Altar, ein Moment des Gedenkens am Grab des Apostels, dass sich unterhalb des Altars befindet und das Abholen der Compostela im Pilgerbüro. Die Compostela, also die Pilgerurkunde ist die Bescheinigung, dass man zum Abschluss der Pilgerreise in Santiago de Compostela angekommen ist. Wir haben also noch viele schöne Aufgaben zu erledigen.

Es ist ca. 14:00 Uhr gewesen, als wir in Richtung Pilgerbüro gegangen sind. Dort erwartete uns schon eine lange Schlange, die weit bis nach draußen reichte. Auch dort, wie schon auf dem Platz vor der Kathedrale,  trafen wir wieder Pilger die wir kannten und gratulierten uns Gegenseitig. Wir reihten uns in die Schlange ein und während Tilo dort blieb, ging ich auf die Suche nach der Gepäckaufbewahrung, die einige Meter weiter sein sollte. Dort lagerten wir dann unsere Rucksäcke ein, da man ja mit diesen nicht in die Kathedrale durfte. Das Warten wurde durch eine Gruppe amerikanischer Hospitaleros verkürzt, die die ankommenden Pilger herzlichst begrüßte. Jeder einzelne wurde angesprochen, es wurde geklatscht und wieder gratuliert. Nach einer guten Stunde Wartezeit, standen wir direkt vor dem Eingang des Pilgerbüros. Dort bat dann eine der Hospitaleros die Pilger einzeln hinein. Ich bat sie noch um ein gemeinsames Foto mit uns, da sie unsere letzte offizielle Hospitalero sein würde, denn mit dem Erhalt der Pilgerurkunde, der Compostela, waren wir ja offiziell keine Pilger mehr. Dann war ich an der Reihe. Mit gemischten Gefühlen betrat ich den gewölbeartigen Raum, wo an einem langen Tresen, a la Harry Potter,  mehrere Betreuer aneinandergereiht saßen. Ich suchte mir den nächsten freien Platz, reiche dem jungen Mann meinen Pilgerpass und meinen Ausweis, und beantwortete bereitwillig die Fragen auf dem Bogen den er mir reichte, während er, mehr oder weniger feierlich, den Schlussstempel der Kathedrale, in meinen Pilgerpass drückte.

Wie heißen Sie? Wo kommen Sie her? Wo sind sie gestartet? Sind sie gelaufen, mit dem Rad oder Pferd? Warum sind sie gelaufen?
Warum? Ja, warum eigentlich? Ich glaube das ist eine Frage, die ich mir vor und während der Reise immer wieder gestellt habe und das auch jetzt gerade tue. Warum? Warum bin ich diesen Weg gegangen? Ich habe es für mich getan. Ich habe es getan, um Fragen beantwortet zu bekommen, die ich mir selbst gestellt habe. Und ja, ich habe auf jede einzelne Frage eine Antwort bekommen. Ich, und auch nur ich alleine weiß warum! Und das ist auch gut so.
Bereitwillig fülle ich den Fragebogen aus und nehme dann stolz meine Compostela entgegen, auf der in Lateinisch steht:

„Capitulum huius Almae Apostolicae et Metropolitanae Ecclesiae Compostellanae sigilli Altaris Beati Jacobi Apostoli custos, ut omnibus Fidelibus et Peregrinis ex toto terrarum Orbe, devotionis affectu vel voti causa, ad limina SANCTI JACOBI, Apostoli Nostri,
Hispaniarum Patroni et Tutelaris convenientibus, authenticas visitationis litteras expediat, omnibus et singulis praesentes inspecturis notum facit :
Eiko Adamek
hoc sacratissimum templum, perfecto Itinere sive pedibus sive equitando post postrema centum milia metrorum, birota vero post ducenta, pietatis causa, devote visitasse. In quorum fidem praesentes litteras, sigillo eiusdem Sanctae Ecclesiae munitas ei confert.
Datum Compostellae die 19 mensis Junii anno Dni 2014
Sequndo L. Perez Lopez
Dean de la S.A.M.I. Catedral de Santiago“

Was dann übersetzt heißt:

„Das Kapitel dieser Heiligen Apostolischen Erzbischöflichen Compostelanischen Kathedrale, Kustos des Siegels des Altars des Apostels St. Jakobus, an alle Gläubigen und Pilgern, die, von überall her kommend, mit Andacht, oder auf Grund eines Gelübdes, das Grab des Apostel Jakobus, des Schutzpatrons Spaniens, besuchen, beurkundet im Beisein aller, die diese Urkunde lesen möchten, dass:
Eiko Adamek
diesen Tempel demutsvoll in frommer Gesinnung besucht  hat,  indem er  den Weg  beendet hat nach 100000 Meter zu Fuß oder reitend, oder nach 200 000 Meter mit dem Fahrrad.
Zur Bestätigung dessen überreiche ich diese Urkunde,
die mit dem Siegel dieser Heiligen Kirche bekräftigt ist.
Überreicht in Santiago de Compostela am 19. Juni Anno Domini 2014.
Sequndo L. Perez Lopez
Der Domkapitelsekretär für das Pilgerwesen“


Ich bin glücklich und zufrieden! Zufrieden mit mir und auch im Reinen mit mir. Ich habe geschafft, was ich schaffen wollte und ich habe nicht nur ein Ziel erreicht, sondern mehrere.

Wir, der Hospitalero und ich,  verabschiedeten uns mit einem sehr freundlichen „Buenos Dias, Senior“. Und Zack, Pilgertod! Jetzt war ich kein Pilger mehr. Was mache ich eigentlich morgen nach dem Aufstehen? Mir fehlt es schon jetzt, 25km zu laufen. O Gott, was wird das für ein Tag werden? Aber erstmal ist auch das egal, jetzt zählt das hier und heute.

Tilo steht am Schalter neben mir und füllt auch gerade den Bogen aus. Wir lassen uns gleichzeitig noch die Kilometerbescheinigung ausfüllen, auf der dann die 311 km bestätigt sind. Hinter uns, an einem weiteren Counter, sitzt eine junge Frau und verkauft Transportboxen für die Compostela, die wir uns gerne noch holen (Obwohl ich die Farbe Pink für solch ein Dokument, etwas gewagt finde).


Wieder draußen gingen wir direkt zur Kathedrale. Dort hielten wir noch einen Moment inne und dann betraten wir die wundervolle Kathedrale von Santiago de Compostela. Es war atemberaubend, durch das dunkle Eingangsportal, den durch die hohen Fenster hell leuchtenden Altar zu sehen. 







Wir schauten uns unabhängig voneinander lange in der Kirche um. Rund um das Kirchenschiff befinden sich unzählige kleiner Kapellen und Beichtstühle, wo man, so man Bedarf hat, in verschiedenen Sprachen, Abbitte leisten kann. Die Kathedrale ist wunderschöne und irgendwie gigantisch, prächtig aber nicht prunkvoll. Ich würde teilweise sogar sagen eher bescheiden. Lediglich der Altarbereich und die Altäre der Kapellen 
sind prunkvoll. Vor dem Altar hängt der berühmte Botafoumeiro, das Weihrauchfass, was zu den größten der Welt gehört. Es wird jeden Freitag zum Pilgergottesdienst, zu besonderen Anlässen und auf Wunsch auch gegen Bezahlung, geschwungen. Da heute Donnerstag ist und morgen somit Freitag, standen die Chancen also gut, es spätestens morgen zum Pilgergottesdienst in Aktion zu sehen. Wir hatten verabredet, uns an Aufgang zur Jakobusstatue wiederzutreffen um dann gemeinsam zu ihr zu gehen und anschließend auch gemeinsam das Grab des Apostel zu besuchen. Auf den Stufen zur Statue, die sich hinter dem Altar befindet, hatte ich die ganze Zeit die kleine Engelsfigur bei mir, die mir meine Mädels mitgegeben haben. Bevor ich die Statue umarmte, setze ich auch die kleine Figur kurz an der Statue ab und machte ein Foto mit ihr. 

Wir waren beide am Ziel. Es war wieder ein sehr bewegender Moment. Im Anschluss gingen wir in die Gruft unterhalb des Altars, um am Grab des Apostels einen langen Moment inne zu halten. Jedes Jahr, seit hunderten von Jahren, kommen Millionen Pilger hierher und wir gehören nun auch dazu. Nachdem wir gemeinsam noch eine Runde durch die Kathedrale gegangen sind, und haben noch viele Fotos gemacht, verließen wir das ehrwürdige Gebäude.






Als wir die Kathedrale verlassen hatten, blendete uns die Sonne. Es war ein herrlicher Nachmittag. 2014 ist auch das „Franziskus-Jahr“ ist, dass 800-jährige Jubiläum der Wallfahrt des heiligen Franziskus, nach Santiago de Compostela. So erhält man in diesem Jahr eine Jubiläums-Compostela, die „Compostela Franciscana“, wenn man ordnungsgemäß als Pilger anerkannt ist und die Franziskuskirche in Santiago besucht. Und das wollten wir nun tun.
Es waren nur ein paar hundert Meter bis zur Franziskuskirche. Als wir dort ankamen warteten bereits zwei Frauen vor der Kirche und wie sich herausstellte waren es Deutsche. Wir kamen kurz ins Gespräch. Schlag 16:00 Uhr öffnete sich die große Tür der Kirche, und ein kleiner Franziskanermönch trat heraus. Er begrüßte uns und bat uns hinein, bevor er zügigen Schrittes in Richtung Altar verschwand. Einen Augenblick sahen wir uns in der Kirche um, bevor der Mönch zurück kam und uns ansprach. Viel verstanden wir nicht, aber die Worte „Peregrino“, „Sello“ und „Credencial“, welche sich in den letzten zwei Wochen in unseren Kopf eingebrannt hatten, hatten wir verstanden und nickten freundlich, woraufhin der Mönch wieder in einem Gang neben dem Altar verschwand. Wir setzten uns in die erste Bank und warteten geduldig. Irgendwann stand ich dann auf und begann neugierig damit, mich wieder etwas umzuschauen. Plötzlich, wie aus dem nichts, stand der Mönch neben, macht „Pssst“ und gab mir winkend zu verstehen, dass wir ihm folgen sollten. Er führte uns in die Sakristei und nahm dort an einem kleinen alten Schreibtisch Platz. Wir reichten ihm unseren Pilgerpass, den er gerne abstempelte. Als der damit fertig war, händigte er mir auch gleichzeitig die begehrte 
„Compostela Franciscana“ aus. 
„Wenn´s läuft, dann läuft´s!“ Denn normalerweise kann man diese Compostela nur zu ganz bestimmten Zeiten erhalten. Während der Mönch sich nun mit Tilos Pilgerpass beschäftigte,  schaute ich mich vorsichtig in der Sakristei um. Es ist schließlich ein Ort, den man sich nicht jeden Tag ansehen kann. In einem Glas-Wandschrank entdeckte ich viele Knochenreliquien.  Mich hätte wirklich interessiert, wem diese zugeordnet sind. Leider kam ich nicht mehr dazu den Mönch zu fragen, denn nachdem er auch Tilos Unterlagen Fertig hatte, führte er uns wieder hinaus. Nun hatten wir auch diese Compostela.



Wir haben uns ein wenig zum Essen besorgt und uns auf der großen Treppe, auf der Rückseite der Kathedrale, wo sich auch die berühmte heilige Pforte befindet, gesetzt. Die heilige Pforte wird ausschließlich im Heiligen Jahr geöffnet. Pilger, die die Kathedrale durch diese Pforte betreten, erhalten den Ablass Ihrer Sünden. 2021 ist das nächste Heilige Jahr, und dann weiß ich schon jetzt, dass ich nicht der Sünden wegen, sondern wegen dem Augenblick, wieder hier sein werde.
Nun sitzen wir hier, haben unsere Rucksäcke weggebracht, die Band vom Mittag spielt immer noch auf dem Platz, haben ein wenig was gegessen und haben ein paar Bier zwischen uns stehen, denn wir wollten unsere Ankunft nun endlich ein klein wenig feiern. Und so wie uns, geht  es gerade auch mehr als hundert anderen, die mit uns auf dieser Treppe sitzen. Wir plauschen ein wenig, schreiben unsere Tagebücher, hören der Musik zu und schauen uns immer mal um, ob wir noch jemanden kennen würden. Es wäre jetzt toll, wenn wir irgend wen treffen würden, den wir kennen.

Mittlerweile sind wir wieder im Hostel. Musste eine Schreib-Pause einlegen, denn wir hatten jetzt wieder ein „Spirit of Camino“-Erlebnis. In dem Moment wo ich gerade den letzten Absatz geschrieben hatte, kamen Alexis und Fabian um die Ecke und waren genauso überrascht und erfreut wie wir. Wie aus dem Nichts, standen sie vor uns und wollten gerade die Treppe hochgehen. Nun hatten wir unsere Gesprächspartner. Nach einer guten Stunde machten wir uns dann zurück zum Hostel, verabredeten uns aber vorher noch, zum Pilgergottesdienst am nächsten Abend. Jetzt sitzen wir im Empfangsbereich des Hostel, trinken in Ruhe noch ein Feierabend-Pils und hauen uns gleich aufs Ohr. Bin gespannt, wie der morgige Tag wird.


Fazit des Tages: „Wenn´s läuft, dann läuft´s! Und das in jeder Hinsicht.“ 

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